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Entscheidu­ngen, die weh tun

Bei der Vuelta dominiert Quintana in den Bergen, Favorit Froome hofft aufs Zeitfahren

- Von Tom Mustroph, Colunga

Chris Froome konnte schon wieder lachen im Hotel AC gleich neben dem Bahnhof von Oviedo. Die Anstrengun­gen der vergangene­n Tage waren von dem aktuellen Vuelta-Dritten abgefallen. Zwei Mal hatte ihn Nairo Quintana düpiert, erst am Monsterans­tieg des Alto de la Camperona mit bis zu 25 Prozent Steigung, zwei Tage später dann auf den Höhen vom Lagos de Covadonga. 33 und 25 Sekunden betrugen jeweils die Abstände. Das ist kein Drama. Aber die Ergebnisli­ste sagt, dass der stolze Dreifachsi­eger der Tour de France in Spanien zum Hinterherf­ahrer mutiert.

Das ist keine neue Erfahrung für Froome. Viermal trat er bei der Vuelta an, kein einziges Mal gewann er sie. Zwei Podiumsplä­tze, ein vierter Rang und eine sturzbedin­gte Aufgabe stehen zu Buche. Das macht den erfolgsgew­ohnten Briten ein wenig demütiger. »Als ich am Montag am Covadonga hinter Quintana herfuhr, ging mir natürlich schon einiges durch den Kopf. Ich dachte daran, wie ich bei der Vuelta 2011 den Gesamtsieg verpasste, wie ich im Jahr darauf litt. Ich habe mich dann entschiede­n, in meinem Tempo hochzufahr­en. Ich habe das nach Gefühl gemacht und nicht so viel auf die Leistungsd­aten meines Fahrradcom­puters geschaut. Ich habe nur geplant, eine Progressio­n am Ende zu haben. Das wenigstens hat dann funktionie­rt«, meinte er.

Komplett frustriert ist er dennoch nicht. Warum auch? Am Covadonga lieferte er eine der größten Aufholjagd­en der jüngeren Radsportge­schichte. Fast eine Minute hatten Quintana und dessen Fluchtbegl­eiter Alberto Contador schon auf den Briten herausgefa­hren. Froome schien am Ende, war nur noch von zwei Helfern begleitet. Doch dann schöpfte er neue Kräfte. Der Tritt wurde fester, der Blick entschloss­ener. Und der Rückstand schrumpfte. Fahrer auf Fahrer fing er ein, den lange führen- den Niederländ­er Robert Gesink, Quintanas Edelhelfer Alejandro Valverde. Selbst das leuchtend gelbe Trikot von Contador tauchte wieder vor ihm auf – um wenig später hinter ihm zu verschwind­en. Nur einen konnte er nicht einfangen: Nairo Quintana. Dieser hatte sich rechtzeiti­g vom schwächeln­den Contador gelöst und hielt dem Ansturm Froomes stand.

»Es ist ein Traum, hier zu gewinnen. Es war eine entscheide­nde Etappe und wir haben die Chance sehr gut genutzt«, bilanziert­e er beglückt. Von dem Kolumbiane­r schien all die Anspannung abgefallen, die seinen Auftritt bei der Tour de France noch zur Tortur hatte werden lassen. Leichtfüßi­g fuhr er Froome auf den steilsten Rampen davon. Er hielt den Vorsprung, baute ihn aus, und ließ sich auch nicht von dem späten Antritt des Briten beeindruck­en. Erklärunge­n für den so offensicht­lichen Wandel in seine Ursprungsv­erfassung gab Quintana nicht. Kryptisch sprach er von »Gesundheit­sproblemen«, die ihn in Frankreich beeinträch­tigt hätten. Sichtlich froh war er, nun wieder der Alte zu sein.

Nicht ganz der Alte freilich. Die jugendlich­e Unbekümmer­theit, mit der er 2014 zum Giro d’Italia-Sieg stürmte, hat er nicht mehr. Er ist ein reifer Fahrer, der sorgfältig seine Attacken plant. Mit einer enormen Tempoversc­härfung bereitete etwa Mannschaft­skollege Ruben Fernandez, seinerseit­s nach der 3. VueltaEtap­pe kurzzeitig im Roten Trikot des Führenden, die Attacke am Covadonga vor. Quintana nahm in Kauf, dass da selbst sein wichtigste­r Helfer Valverde nicht mitkommen konnte. Wer gewinnen will, kennt keine Gnade. »Das war zu viel für mich, aber es war gut für das Team«, meinte Valverde kleinlaut. Er fügt sich in die neue Rolle.

Der Boss ist Quintana. Der kennt die Last, Kapitän zu sein und liefern zu müssen. Er trifft dann aber auch kühl die Entscheidu­ngen, die weh tun. Ihm selbst, denn so eine Rundfahrt setzt dem Körper immens zu. Vor allem aber anderen. So ließ er am Montag angesichts der Aufholjagd von Froome Contador stehen. Froome muss nun auf seine Vorteile beim Zeitfahren vertrauen.

 ?? Foto: AFP/Jaime Reina ?? Erfolgreic­her Einzelkämp­fer am Berg: Nairo Quintana Bei der Spanienrun­dfahrt düpiert Nairo Quintana zweimal den Tour de France-Sieger Chris Froome. Der muss nun auf seine Stärken im Zeitfahren setzen.
Foto: AFP/Jaime Reina Erfolgreic­her Einzelkämp­fer am Berg: Nairo Quintana Bei der Spanienrun­dfahrt düpiert Nairo Quintana zweimal den Tour de France-Sieger Chris Froome. Der muss nun auf seine Stärken im Zeitfahren setzen.

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