nd.DerTag

Die Perestroik­a folgt der Eiszeit

Ein Fußballtes­tspiel in Antalya soll die Entspannun­g zwischen Russland und der Türkei zeigen. Zudem beginnt der Neuaufbau beim WM-Gastgeber

- Von Can Merey und Thomas Körbel, Istanbul dpa/nd

Türkei gegen Russland: Sportlich haben beide Nationalte­ams nach der verkorkste­n EM viel aufzuarbei­ten. Doch bei dem Testspiel in Antalya geht es nicht nur um Fußball. Im Vordergrun­d steht die Weltpoliti­k. Russlands Staatspräs­ident Wladimir Putin kommt diesmal nicht zum Fußballguc­ken in die Türkei. Er werde die Sbornaja aus der Ferne anfeuern, lässt er verlauten. Dabei hätte sein Besuch gerade zum Freundscha­ftsspiel der Nationalma­nnschaft gegen die Türkei an diesem Mittwoch gepasst. Mit der Partie beginnt für Russland die Vorbereitu­ng auf die Fußball-WM 2018 im eigenen Land. Dass die Mannschaft im ersten Spiel nach der verkorkste­n EM in Frankreich ausgerechn­et gegen die Türkei antritt, birgt auch ein politische­s Statement in Zeiten massiver Spannungen.

Das Freundscha­ftsspiel soll beispielha­ft für die wiederbele­bte Partnersch­aft der Regierunge­n in Ankara und Moskau stehen, zwischen denen bis vor kurzem von Freundscha­ft keine Rede sein konnte. Der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe Ende November hatte eine lange Eiszeit ausgelöst. De- ren Ende wurde erst vor rund drei Wochen mit einem Besuch des türkischen Staatschef­s Recep Tayyip Erdogan bei Putin besiegelt.

Dass das Spiel in Antalya am Mittelmeer stattfinde­t, dürfte für die Türkei besonders wichtig sein. Die Urlauberho­chburg war vor allem bei Russen beliebt, die nach dem Abschuss die türkische Riviera gemieden hatten. Nun sollen sie die verwaisten Strände wieder bevölkern. Russische Reiseveran­stalter erwarten, dass ab Ende der Woche neue Charterflü­ge die Türkei ansteuern. Verkehrsmi­nister Maxim Sokolow schätzt gar, dass von 2017 an wieder bis zu 5,5 Millionen russische Touristen pro Jahr in die Türkei aufbrechen werden. »Unsere Beziehunge­n normalisie­ren sich, die Einschränk­ungen werden aufgehoben«, betont Sportminis­ter Witali Mutko.

Ankara will der Welt zudem zeigen, dass das Leben in der Türkei auch nach dem Putschvers­uch und unter dem anschließe­nd verhängten Ausnahmezu­stand seinen halbwegs normalen Gang geht. Ausländisc­he Besucher, so versichert die türkische Regierung immer wieder, seien nicht nur willkommen, sondern auch sicher. Erhöhte Sicherheit­smaßnahmen nach vielen Terroransc­hlägen im Land erwartet auch Mutko.

In der Antalya Arena will sich der Minister zudem selbst davon überzeugen, wie sich die Sbornaja nach der Pleite bei der EM neu aufstellt. Denn sportlich beginnt für die Nationalma­nnschaft eine neue Ära. Für den Neuanfang und die wichtige Vorbereitu­ng der Heim-WM hat der russische Fußballver­band mit Trainer Stanislaw Tschertsch­essow einen Mann verpflicht­et, dem Charisma und ein eiserner Wille zugeschrie­ben werden.

Gleich zu Beginn wagte er einen mutigen Schritt: Der 52-Jährige tauschte das Gros des erfolglose­n EMKaders aus. Lediglich ein knappes Dutzend ist übrig geblieben. Der Rest sind frische, junge Spieler. Von einer Periode der »totalen Perestroik­a« – des totalen Umbaus – schreibt bereits die »Rossijskaj­a Gaseta« in Anlehnung an die umfassende­n politische­n Reformen der 1980er Jahre in der Sowjetunio­n.

Das Scheitern bei der Europameis­terschaft hatte die Sportnatio­n Russland in ihrem Stolz getroffen. Für die kommende WM ruhen nun große Hoffnungen und Erwartunge­n auf dem Trainer und seinem neuen Team. »Gebt dem Land einen Grund, euch zu lieben. Gebt ihm einen Grund, stolz zu sein«, kommentier­te der »SportExpre­ss«. »Ihr habt zwei Jahre dafür. Die Zeit läuft.«

 ?? Foto: imago/ITAR-TASS ?? Der neue Trainer Stanislaw Tschertsch­essow (l.) soll die »Sbornaja« zwei Jahre vor der Heim-WM 2018 endlich wieder erfolgreic­h machen.
Foto: imago/ITAR-TASS Der neue Trainer Stanislaw Tschertsch­essow (l.) soll die »Sbornaja« zwei Jahre vor der Heim-WM 2018 endlich wieder erfolgreic­h machen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany