Die Perestroika folgt der Eiszeit
Ein Fußballtestspiel in Antalya soll die Entspannung zwischen Russland und der Türkei zeigen. Zudem beginnt der Neuaufbau beim WM-Gastgeber
Türkei gegen Russland: Sportlich haben beide Nationalteams nach der verkorksten EM viel aufzuarbeiten. Doch bei dem Testspiel in Antalya geht es nicht nur um Fußball. Im Vordergrund steht die Weltpolitik. Russlands Staatspräsident Wladimir Putin kommt diesmal nicht zum Fußballgucken in die Türkei. Er werde die Sbornaja aus der Ferne anfeuern, lässt er verlauten. Dabei hätte sein Besuch gerade zum Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft gegen die Türkei an diesem Mittwoch gepasst. Mit der Partie beginnt für Russland die Vorbereitung auf die Fußball-WM 2018 im eigenen Land. Dass die Mannschaft im ersten Spiel nach der verkorksten EM in Frankreich ausgerechnet gegen die Türkei antritt, birgt auch ein politisches Statement in Zeiten massiver Spannungen.
Das Freundschaftsspiel soll beispielhaft für die wiederbelebte Partnerschaft der Regierungen in Ankara und Moskau stehen, zwischen denen bis vor kurzem von Freundschaft keine Rede sein konnte. Der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe Ende November hatte eine lange Eiszeit ausgelöst. De- ren Ende wurde erst vor rund drei Wochen mit einem Besuch des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan bei Putin besiegelt.
Dass das Spiel in Antalya am Mittelmeer stattfindet, dürfte für die Türkei besonders wichtig sein. Die Urlauberhochburg war vor allem bei Russen beliebt, die nach dem Abschuss die türkische Riviera gemieden hatten. Nun sollen sie die verwaisten Strände wieder bevölkern. Russische Reiseveranstalter erwarten, dass ab Ende der Woche neue Charterflüge die Türkei ansteuern. Verkehrsminister Maxim Sokolow schätzt gar, dass von 2017 an wieder bis zu 5,5 Millionen russische Touristen pro Jahr in die Türkei aufbrechen werden. »Unsere Beziehungen normalisieren sich, die Einschränkungen werden aufgehoben«, betont Sportminister Witali Mutko.
Ankara will der Welt zudem zeigen, dass das Leben in der Türkei auch nach dem Putschversuch und unter dem anschließend verhängten Ausnahmezustand seinen halbwegs normalen Gang geht. Ausländische Besucher, so versichert die türkische Regierung immer wieder, seien nicht nur willkommen, sondern auch sicher. Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen nach vielen Terroranschlägen im Land erwartet auch Mutko.
In der Antalya Arena will sich der Minister zudem selbst davon überzeugen, wie sich die Sbornaja nach der Pleite bei der EM neu aufstellt. Denn sportlich beginnt für die Nationalmannschaft eine neue Ära. Für den Neuanfang und die wichtige Vorbereitung der Heim-WM hat der russische Fußballverband mit Trainer Stanislaw Tschertschessow einen Mann verpflichtet, dem Charisma und ein eiserner Wille zugeschrieben werden.
Gleich zu Beginn wagte er einen mutigen Schritt: Der 52-Jährige tauschte das Gros des erfolglosen EMKaders aus. Lediglich ein knappes Dutzend ist übrig geblieben. Der Rest sind frische, junge Spieler. Von einer Periode der »totalen Perestroika« – des totalen Umbaus – schreibt bereits die »Rossijskaja Gaseta« in Anlehnung an die umfassenden politischen Reformen der 1980er Jahre in der Sowjetunion.
Das Scheitern bei der Europameisterschaft hatte die Sportnation Russland in ihrem Stolz getroffen. Für die kommende WM ruhen nun große Hoffnungen und Erwartungen auf dem Trainer und seinem neuen Team. »Gebt dem Land einen Grund, euch zu lieben. Gebt ihm einen Grund, stolz zu sein«, kommentierte der »SportExpress«. »Ihr habt zwei Jahre dafür. Die Zeit läuft.«