Patientenverfügung: Rechtslage und Tipps für Formulierungen
Im nd-ratgeber vom 17. August 2016 wurde an dieser Stelle über das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6. Juli 2016 zur Patientenverfügung informiert. Die BGH-Richter in Karlsruhe hatten in ihrem Urteil darauf verwiesen, dass eine Patientenverfügung konkret sein muss. Vage Formulierungen wie »Ich möchte keine lebenserhaltenden Maßnahmen« können von Ärzten ignoriert werden.
Dazu haben uns zahlreiche Leserzuschriften und Telefonanrufe erreicht, worin erhebliche Verunsicherung geäußert wurde. Nachfolgend eine umfassende Information einer Fachanwältin zur Rechtslage und Tipps zur Patientenverfügung.
Von Anke Plener, Rechtsanwältin in Berlin, Fachanwältin für Medizin- und Sozialrecht
Bis heute ist die Medizin nicht in der Lage, die Frage zu lösen, wie man jung altert und bis zuletzt ohne Beschwerden und Leiden ist. Stattdessen wächst die Angst, dass Altern auch heute noch bedeutet, hilflos, kompetenz-, macht- und rechtlos zu sein. Die größte Angst bei den über 60-Jährigen besteht vor Pflegebedürftigkeit und davor, gegen ihren Willen von medizinischen Geräten am Leben gehalten zu werden. Allein 47 Prozent fürchten, dass sie nicht mehr selbst über ihre medizinische Versorgung bestimmen können (Institut für Demoskopie Allensbach, Pflege in Deutschland 2009, 5 ff.).
Umso wichtiger ist es, insbesondere mit einer Patientenverfügung Vorsorge zu treffen. Dann können die Betroffenen selbst bestimmen, welche Hilfen sie in welcher Situation wünschen und wer ihren Willen umsetzen soll.
Patient entscheidet frei über Heilbehandlung oder Eingriff Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist davon gekennzeichnet, dass der Patient auf Grund seines verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechtes frei entscheidet, welche Heilbehandlungen, Untersuchungen oder Eingriffe, die medizinisch indiziert sind, er zulässt. Ohne die Einwilligung des Patienten ist jede ärztliche Maßnahme, die in den Körper eingreift, eine verbotene Körperverletzung. Die Einwilligung bedarf aber der Einwilligungsfähigkeit.
Allein entscheidend ist, ob der Einwilligende Grund, Wesen, Bedeutung und Tragweite des ärztlichen Handelns in deren Grundzügen zu überblicken vermag (BGH NJW 1956, 1106). Ein Volljähriger, der wegen psychischer Krankheit bzw. körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung jedoch keine Einwilligungserklärung (mehr) abgeben kann, erhält für die Vertretung seiner Interessen einen Betreuer, es sei denn, seine Angelegenheiten können von Vorsorgebevollmächtigten wahrgenommen werden. Für den nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten ist dann bei anstehenden Heilbehandlungen im Zweifel zu prüfen:
– existiert eine Patientenverfügung, wenn nicht,
– welche Behandlungswünsche wurden jemals geäußert,
– welcher mutmaßliche Wille lässt sich ermitteln.
Die Patientenverfügung bestimmt als sogenannte Vorausverfügung, ob in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen des Gesundheitszustands, der Heilbehandlungen oder ärztlicher Eingriffe eingewilligt wird oder sie untersagt werden. Verfügt der zu Behandelnde über keine Patientenverfügung, müssen Betreuer oder Bevollmächtigte mit dem Arzt ein Gespräch zur Feststellung d es Patientenwunsches führen (§ 1901 b Abs. 1 BGB). Dies gestaltet sich in der Praxis oftmals noch schwieriger als bei Vorliegen einer Patientenverfügung, die in engen Grenzen ausgelegt werden kann.
Bei der Feststellung des Patientenwillens, seiner Behandlungswünsche oder seines mutmaßlichen Willens sollen nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen Gelegenheit zur Äußerung haben, soweit das ohne erhebliche Verzögerung möglich ist. Zu einer Verzögerung führt dies jedoch in jedem Fall. Um dies zu vermeiden, ist es angezeigt, sich rechtzeitig damit auseinanderzusetzen, welche ärztlichen Maßnahmen in welcher Situation gewünscht werden.
Neben der Beratung durch einen Anwalt sollte in jedem Falle auch der Hausarzt aufgesucht werden, um sich über die Folgen der vorgestellten oder gewünschten Entscheidungen aufklären zu lassen und hieran die eigenen Wünsche nochmals zu überprüfen.
Gesetzliche Änderungen sind schon 2009 in Kraft getreten Die Patientenverfügung muss handhabbar und rechtssicher gestaltet sein. Bereits nach den zum 1. September 2009 in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen war es dringend notwendig, bereits zuvor erstellte Patientenverfügungen auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Dies gilt nach der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 2016 (Az. XII ZB 61/16) zu dieser Thematik erst recht.
Seit der gesetzlichen Änderung im Jahre 2009 enthält § 1901a Abs.1 Satz 1 BGB eine Legaldefinition der Patientenverfügung: »Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehenden Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung).«
Im nd-ratgeber vom 20. Juli 2016 wurde darüber berichtet, dass die Mehrheit der Senioren, nämlich 54 Prozent der 60- bis 69-Jährigen, über eine Patientenverfügung verfügt. Dies ist erfreulich, gibt jedoch leider noch keine Auskunft über deren Qualität.
In der anwaltlichen Praxis begegnen einem immer wieder Patientenverfügungen, die ungenau sind und aus denen sich ein wirklicher Wille des Betroffenen nicht bestimmen lässt. Dies hängt nicht nur mit unwirksamen Formularen, sondern oftmals auch damit zusammen, dass sich Menschen vielleicht mit dem Sterben an sich, nicht jedoch mit dem dahin führenden Prozess auseinandergesetzt haben oder dies bewusst oder unbewusst vermeiden.
Was hierbei oftmals nicht bedacht wird, ist die Tatsache, dass sich Ärzte, Betreuer und Bevollmächtigte sowie nahe Angehörige später in der Situation befinden können, die Patientenwünsche umzusetzen. Gerade für nahe Angehörige kann das zu schweren Gewissenskonflikten oder zu Zerwürfnissen innerhalb der Familie führen, wenn die Patientenverfügung unterschiedlich ausgelegt wird.
Warum das aktuelle BGH-Urteil folgerichtig ist Im nd-ratgeber vom 15. August 2016 hatte sich auch der Pflegeexperte Dieter Lang zu Wort gemeldet, dem die Autorin nur ausdrücklich beipflichten kann. »Das aktuelle Urteil des BGH«, so äußerte Dieter Lang, »ist folgerichtig. Es war an der Zeit, das noch einmal so deutlich zu sagen.«
Denn: Eine Patientenverfügung, die allein eine pauschale Ablehnung »lebensverlängernder Maßnahmen« zum Ausdruck bringt, lässt so viel Auslegungsspielraum zu, dass dies den wirklichen Interessen diametral entgegenstehen kann und daher nicht umgesetzt werden darf.
Der BGH statuiert in seiner Entscheidung daher auch, dass der Vollmachttext, der es einem vom Patienten bestimmten Dritten ermöglichen soll, die Patientenverfügung umzusetzen, hinreichend und klar umschreiben muss, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Patienten vornehmen zu lassen. Hierzu müsse aus der Vollmacht deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.
Liegt eine wirksame Bevollmächtigung vor, muss der Bevollmächtigte prüfen, ob eine Patientenverfügung im Sinne der Legaldefinition des Gesetzes vorliegt und diese auf die aktuell eingetretene Lebensund Behandlungssituation des Betroffenen zutrifft. Die gleichen Pflichten treffen den Betreuer oder den Arzt.
Liegt eine wirksame und auf die aktuelle Situation zutreffende Patientenverfügung vor, hat der Betroffene die Entscheidung selbst getroffen. Damit ist sie umzusetzen. Bevollmächtigter oder Betreuer haben dann dafür zu sorgen, dass sich Ärzte nicht über die Patientenverfügung hinwegsetzen.
Bindungswirkung entfaltet die Patientenverfügung indes nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Nicht ausreichend sind daher allgemeine Anweisungen, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist.
Allerdings kann auch nicht erwartet werden, dass der Betroffenen seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt.