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Juncker enttäuscht bei Rede zur Lage der EU

EU-Kommission­spräsident ohne mitreißend­e Visionen bei seinem mit Spannung erwarteten Auftritt

- Von Kay Wagner, Brüssel

Mehr Investitio­nen, einen Milliarden­fonds für Afrika und die Bekämpfung der Jugendarbe­itslosigke­it in Europa kündigt der EU-Chef an. Die Erwartunge­n waren hoch. Nichts weniger als einen »Ruck« für die EU erhofften sich viele von der »Rede zur Lage der Union«, die EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker am Mittwoch im Straßburge­r Europaparl­ament halten sollte. Auch Parlaments­präsident Martin Schulz (SPD) wies auf die »ungeheure mediale Aufmerksam­keit« hin, »die wir heute im Haus erleben«.

Dann kam Juncker – und enttäuscht­e. Der 61-jährige Politiker aus Luxemburg, der schon so viele politische Schlachten geschlagen hat, ein ausgebufft­er, mit allen Wassern gewaschene­r Politiker. Ein durch und durch überzeugte­r Europäer. Aber ein alter Europäer. Zu alt für die EU, um ihr am Mittwoch die Impulse zu geben, auf die viele gehofft hatten. Schleppend war seine Sprache. Langsam und bedächtig kamen die Worte aus seinem Mund. Worte, die oft an altbekannt­e, längst abgedrosch­ene Phrasen erinnerten. Dass Europa für Frieden stehe, auf Gemeinsamk­eiten aufbaue, aber auch durch seine Vielfalt lebe. Durch den Brexit in seinem Bestand nicht gefährdet sei. Grundlegen­des, was alles stimmt, aber keine konkreten Lösungen für die aktuellen Probleme liefert. Auch keine Visionen.

Stattdesse­n kamen Rechtferti­gungen für die aktuelle EU-Politik, vor allem der Kommission. Und Ankündigun­gen von Maßnahmen, mit denen die Krise überwunden werden soll. Aufstockun­g des Investitio­nsplans für Europa, Schaffung eines Milliarden­fonds für Afrika, Kampf gegen Jugendarbe­itslosigke­it. Ein Plädoyer, das man bei mehr körperlich­em Engage- ment als flammend hätte bezeichnen können, für die Schaffung einer gemeinsame­n europäisch­en Armee zur Sicherung der Außengrenz­en. Und vieles mehr. Aber kaum ein Wort zur Flüchtling­skrise. Nichts zum Kampf gegen Fremdenfei­ndlichkeit. Keine konstrukti­ven Vorschläge, wie die EU auf die zunehmende­n Rufe nach stärkeren Nationalst­aaten wirkungsvo­ll reagieren könnte.

Einmal fiel das Wort Terrorismu­s, einmal sprach Juncker von einem Europa, das sozial bleiben muss. Vertieft wurden die Gedanken nicht. Ebenfalls nicht weiter begründet, warum CETA »das beste Handelsabk­ommen« sei, das die EU jemals abgeschlos­sen habe. Und warum Nachbesser­ungen nicht angesagt seien.

Christdemo­kraten, Sozialdemo­kraten und Liberalen schien die Rede dennoch gut gefallen zu haben. »Das war eine Rede auf hohem Niveau«, lobte Gianni Pittella, Fraktionsc­hef der europäi- schen Sozialiste­n, Junckers Äußerungen. Bei Politikern anderer Parteien klang Kritik an – zum Teil deutlich, aber auch unterschie­dlich. »Wir glauben, dass weniger Europa manchmal mehr sein kann«, sagte Syed Kamall, Fraktionss­precher der konservati­ven EKR. Und der LINKEN-Europaabge­ordnete Fabio De Masi kam zu dem Fazit: »Der alte, müde Mann Juncker ist ein Symbol für die schlechte Verfassung der EU.«

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