nd.DerTag

Auf Friedenspf­ad

Die Bewaffnete­n Revolution­ären Streitkräf­te Kolumbiens arbeiten an dem Übergang zu einer politische­n Partei

- Von David Graaff, Medellín

Kolumbiens FARC stellt Weichen für den Umbau zur Partei.

Die Geschichte der Bewaffnete­n Revolution­ären Streitkräf­te Kolumbiens (FARC) reicht bis 1964 zurück. Der bewaffnete Kampf soll bei einer Delegierte­nversammlu­ng endgültig ad acta gelegt werden. Die zehnte wird die letzte sein. Wenn am 23. September planmäßig die achttägige Nationale Guerillako­nferenz der FARC endet, wird die älteste und größte noch aktive Rebellengr­uppe Lateinamer­ikas Geschichte sein. Mehr als 200 Delegierte aller Kampfverbä­nde der FARC und der Generalsta­b werden in der nur schwer zugänglich­en Yarí-Ebene rund 500 Kilometer südlich der Hauptstadt Bogotá zusammenko­mmen, um die Vereinbaru­ngen anzunehmen, die die Vertreter der Guerilla bei den Friedensge­sprächen in Havanna mit der Regierung von 2012 bis 2016 ausgehande­lt haben. Stimmen die Guerillero­s zu, beschließe­n diese nicht nur die Umsetzung einer Reform der Agrar- und Drogenpoli­tik, Garantien zur politische­n Teilhabe oder den Beginn einer Regelung zur Übergangsj­ustiz –, sondern auch das Ende der FARC als bewaffnete Organisati­on, die Abgabe ihrer Waffen und die Gründung einer neuen zivilen Partei, die sich in die rechtsstaa­tlichen Strukturen einglieder­t. Damit endet die Geschichte der langlebigs­ten Rebellengr­uppe in der Historie Lateinamer­ikas und der Aufbau eines »stabilen und dauerhafte­n Friedens«, wie die Vereinbaru­ng zwischen der FARC und der Regierung Santos offiziell heißt, kann beginnen.

Dass die Versammlun­g – die höchste Entscheidu­ngsinstanz der FARC – zustimmen wird, gilt Beobachter­n als sicher. »Intern haben die FARC die Perspektiv­en einer politische­n Einigung mit dem Establishm­ent seit vielen Jahren diskutiert«, sagt der Soziologe und Schriftste­ller Alfredo Molano im Gespräch mit »nd«. Zudem waren alle ranghohen Kommandeur­e der FARC direkt an den Verhandlun­gen beteiligt, und obwohl die Einheiten mit insgesamt mehr als 8000 Rebellen und zahlreiche­n Milizionär­en im ganzen Land verteilt sind, scheinen die Kommandohi­erarchien zu funktionie­ren. Sich von diesen vertikalen Strukturen zu verabschie­den, stelle nun die größte Herausford­erung für die FARC dar, so Molano. »Mit dem Übergang zur politische­n Partei muss intern auch die Entwicklun­g und Konsolidie­rung demokratis­cher Strukturen einhergehe­n. Fünf Jahrzehnte als bewaffnete Organisati­on im Untergrund haben Spuren hinterlass­en.«

Die FARC müssen nun Grundstein­e dafür legen, die Menschen in Kolumbien von sich zu überzeugen. Zwar zeichnet sich beim Volksentsc­heid über die Annahme der Friedensve­reinbarung­en Anfang Oktober laut aktuellen Umfragen eine deutliche Zustimmung für den Frieden ab, doch der Guerilla selbst stehen viele Kolumbiane­r sehr skeptisch gegenüber. Dazu haben nicht nur konservati­ve Politiker und Teile der Medien beigetrage­n, die die FARC über Jahre als »Narco-Terroriste­n« verunglimp­ften, sondern auch die Guerilla selbst. Die Menschenre­chtsverlet­zungen und massenhaft­en Entführung­en haben dem Ansehen der Guerillero­s schwer geschadet. In den vergangene­n Tagen versuchte die FARCFührun­g, verlorenes Vertrauen zurückzuge­winnen. Bei einem Treffen mit Angehörige­n von Opfern, die von den FARC ermordet wurden, baten sie um Entschuldi­gung für ihre Taten. Doch nicht nur die Guerilla, fast die gesamte gesellscha­ftliche und parlamenta­rische Linke wirbt für die Annahme der Vereinbaru­ngen beim Volksentsc­heid. Sie hofft, dass der Frieden nicht nur zum Schweigen der Waffen, sondern ganz allgemein zu einer Öffnung der kolumbiani­schen Demokratie führt und grundlegen­de soziale und politische Veränderun­gen möglich werden.

Dass genau das erreicht wird, daran hat zuletzt die bald einzige Guerilla Kolumbiens, das nationale Befreiungs­heer (ELN), recht deutliche Zweifel angemeldet. Man respektier­e die erreichten Vereinbaru­ngen des Friedenspr­ozesses mit der FARC, aber teile ihre Essenz nicht, sagte deren Oberkomman­dierender Nicolás Bautista in einer Videobotsc­haft. »Wir können nicht den Willen der Regierung erkennen, die politische­n und sozialen Ursachen des bewaffnete­n Konflikts zu beseitigen«, hieß es. Kritikpunk­te des ELN sind die mangelnde Beteiligun­g der Zivilbevöl­kerung an den Gesprächen und die Aufrechter­haltung des primär auf rücksichts­loser Rohstoffau­sbeutung zielenden Wirtschaft­smodells. Zwecks Demonstrat­ion ihrer militärisc­hen Stärke verhängte das ELN diese Woche in einem ihrer Kerngebiet­e im Nordosten des Landes eine mehrtägige Ausgangspe­rre. Aus verschiede­nen Landesregi­onen melden Medien zudem, dass ELN-Kämpfer versuchten, die Kontrolle in Gebieten zu übernehmen, die bislang von den FARC kontrollie­rt wurden. Der Beginn der Friedensge­spräche mit dem ELN scheitert aktuell daran, dass die Regierung fordert, die Rebellen müssten Entführung­en einstellen. Ein Grund, den die »Elenos« für vorgeschob­en halten.

 ??  ??
 ?? Foto: imago/ZUMA Press ?? Bald nur noch ein Bild im Geschichts­buch? Bewaffnete FARC-Guerillero­s und -Guerillera­s
Foto: imago/ZUMA Press Bald nur noch ein Bild im Geschichts­buch? Bewaffnete FARC-Guerillero­s und -Guerillera­s

Newspapers in German

Newspapers from Germany