Demokratie mit Mangelerscheinungen
Das Drehbuch für die Pressekonferenz des österreichischen Innenministers Wolfgang Sobotka von Montag hätte von Loriot stammen können. So amüsant empfand der Kommentator der »Süddeutschen Zeitung«, wie der ÖVP-Politiker die Verschiebung der Präsidentenwahl verkündete. Ein »technisch äußerst komplexes Kuvert«, das nicht richtig zusammenklebt, sei der Grund für diese Verschiebung, erläuterte der Minister ernsthaft. Was von außen betrachtet wie eine Komödie wirken mag, ist von innen erlebt eher eine Tragödie: Die Verfassung Österreichs sei bloß noch eine Ruine, meint denn auch der österreichische Schriftsteller Robert Menasse. Die letzten Regierungen haben diese aus machtpolitischen Gründen ausgehöhlt. Und das Verfassungsgericht, das letztlich für die Wahlwiederholung verantwortlich zeichnet, ist mehr ein Abbruchunternehmen denn Hüterin derselben. Schuld daran sei wesentlich die rechtspopulistische FPÖ, meint Menasse. Nur: so einfach ist es nicht.
Um die Genfer Flüchtlingskonvention auszuhebeln, die in Österreich Verfassungsrang hat, hat die Koalitionsregierung aus SPÖ und ÖVP jüngst eine Notverordnung beschlossen. Mit ihrer Hilfe will sie die willkürliche Obergrenze von 37 500 Geflüchteten pro Jahr durchsetzen. Sie hebelt mit einem Federstrich Grundund Menschenrechte aus. Nicht nur, dass dadurch Grenzpolitik inmitten der EU simuliert wird. Nein, sie führt auch vor Augen, dass die Regierungsparteien in Österreich auf die Verfassung scheißen, wenn es ihnen beliebt. Das zeigt sich eben nicht nur am schlampigen und wurschtigen Umgang mit den Prozeduren einer demokratischen Wahl.
Dabei hatte die österreichische Demokratie schon immer ihre Ei- genheiten. Bis heute wird von den Regierungsparteien und ihren Milieus in den Kammern und Verbänden gerne »verhandelt« – hinter verschlossenen Türen und in geheimen Zirkeln. Heraus kommt dann ein Ergebnis, das für alle gut zu sein hat. Offene, öffentliche und demokratische Prozesse, in denen die Betroffenen wirklich ein Wort haben und die die Verhandlungen nachvollziehbar machen würden, sind der Politik in Österreich ein Graus. Sie fürchtet Kontroll- und Machtverlust.
All das hat nicht die FPÖ erfunden oder eingeführt. Es war und ist eine weit verbreitete politische Praxis in der »Konkordanzdemokratie«, die Österreich für die Politikwissenschaft lange Zeit war. In den wesentlichen Fragen stimmte man ohnehin überein, der Rest waren Show, WahlvolkBespaßung und Machtspielchen um Posten und Einfluss.
Im Unterschied zu allen anderen politischen Akteuren hat die FPÖ indes ein klares Konzept, was auf diese ruinierte Verfassung und die morsche Form der Aushandlungsdemokratie folgen sollte: Eine völkische Demokratie. In ihr erkennt sich das bio-deutsche Volk in ihrem charis- matischen Führer wider. Dieser wiederum fühle qua charismatische Übertragung ihre wahren Sorgen und Probleme, und er (oder sie) würde sie deshalb auch zielsicher lösen. Verhandlungen sind dann nicht mehr nötig, komplexe Prozesse zur Bürgerbeteiligung ebenfalls nicht. Stattdessen wird der unterstellte Volkswille einfach exekutiert.
Diese völkische Führerdemokratie ließe sich übrigens im Rahmen der bestehenden Verfassungsruine durchsetzen. Daher fordert etwa die Schriftstellerin Marlene Steeruwitz auch eine Verfassungsnovelle. Vor der Durchführung der verschobenen Wiederholung der Präsidentschaftswahl sollten alle autoritären Facetten aus der Verfassung beseitigt werden. Man könnte in diesem Zusammenhang auch gleich das Regieren qua Notverordnung regeln, und auf Kriegsfälle und Naturkatastrophen beschränken.
Das Problem ist, dass solche Vorstöße keine Adressatin finden. Denn auch wesentliche Teile der österreichischen Linken mögen um die Errungenschaften einer liberalen Demokratie nicht kämpfen. So fährt die übergreifende linke Initiative »Aufbruch« derzeit eine Kampagne mit dem Motto »Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten«. Sie hat sich zwar gegen den Notverordnungsbeschluss der Regierung gewandt, will aber keine Verknüpfung zum Präsidentschaftswahlkampf herstellen. Denn Alexander van der Bellen, der von den Grünen ins Rennen geschickte Gegenkandidat zu Norbert Hofer, ist natürlich kein Linker.
Insgesamt ist Österreich also eine Demokratie, der eines wesentlich zu fehlen scheint: Demokratinnen und Demokraten. Und genau aus diesem Grund haben dort die Rechtspopulisten so ein leichtes Spiel.