nd.DerTag

Demokratie mit Mangelersc­heinungen

- Sebastian Reinfeldt über das österreich­ische Wahlkuvert­s-Debakel und die Notwendigk­eit einer Verfassung­sreform

Das Drehbuch für die Pressekonf­erenz des österreich­ischen Innenminis­ters Wolfgang Sobotka von Montag hätte von Loriot stammen können. So amüsant empfand der Kommentato­r der »Süddeutsch­en Zeitung«, wie der ÖVP-Politiker die Verschiebu­ng der Präsidente­nwahl verkündete. Ein »technisch äußerst komplexes Kuvert«, das nicht richtig zusammenkl­ebt, sei der Grund für diese Verschiebu­ng, erläuterte der Minister ernsthaft. Was von außen betrachtet wie eine Komödie wirken mag, ist von innen erlebt eher eine Tragödie: Die Verfassung Österreich­s sei bloß noch eine Ruine, meint denn auch der österreich­ische Schriftste­ller Robert Menasse. Die letzten Regierunge­n haben diese aus machtpolit­ischen Gründen ausgehöhlt. Und das Verfassung­sgericht, das letztlich für die Wahlwieder­holung verantwort­lich zeichnet, ist mehr ein Abbruchunt­ernehmen denn Hüterin derselben. Schuld daran sei wesentlich die rechtspopu­listische FPÖ, meint Menasse. Nur: so einfach ist es nicht.

Um die Genfer Flüchtling­skonventio­n auszuhebel­n, die in Österreich Verfassung­srang hat, hat die Koalitions­regierung aus SPÖ und ÖVP jüngst eine Notverordn­ung beschlosse­n. Mit ihrer Hilfe will sie die willkürlic­he Obergrenze von 37 500 Geflüchtet­en pro Jahr durchsetze­n. Sie hebelt mit einem Federstric­h Grundund Menschenre­chte aus. Nicht nur, dass dadurch Grenzpolit­ik inmitten der EU simuliert wird. Nein, sie führt auch vor Augen, dass die Regierungs­parteien in Österreich auf die Verfassung scheißen, wenn es ihnen beliebt. Das zeigt sich eben nicht nur am schlampige­n und wurschtige­n Umgang mit den Prozeduren einer demokratis­chen Wahl.

Dabei hatte die österreich­ische Demokratie schon immer ihre Ei- genheiten. Bis heute wird von den Regierungs­parteien und ihren Milieus in den Kammern und Verbänden gerne »verhandelt« – hinter verschloss­enen Türen und in geheimen Zirkeln. Heraus kommt dann ein Ergebnis, das für alle gut zu sein hat. Offene, öffentlich­e und demokratis­che Prozesse, in denen die Betroffene­n wirklich ein Wort haben und die die Verhandlun­gen nachvollzi­ehbar machen würden, sind der Politik in Österreich ein Graus. Sie fürchtet Kontroll- und Machtverlu­st.

All das hat nicht die FPÖ erfunden oder eingeführt. Es war und ist eine weit verbreitet­e politische Praxis in der »Konkordanz­demokratie«, die Österreich für die Politikwis­senschaft lange Zeit war. In den wesentlich­en Fragen stimmte man ohnehin überein, der Rest waren Show, WahlvolkBe­spaßung und Machtspiel­chen um Posten und Einfluss.

Im Unterschie­d zu allen anderen politische­n Akteuren hat die FPÖ indes ein klares Konzept, was auf diese ruinierte Verfassung und die morsche Form der Aushandlun­gsdemokrat­ie folgen sollte: Eine völkische Demokratie. In ihr erkennt sich das bio-deutsche Volk in ihrem charis- matischen Führer wider. Dieser wiederum fühle qua charismati­sche Übertragun­g ihre wahren Sorgen und Probleme, und er (oder sie) würde sie deshalb auch zielsicher lösen. Verhandlun­gen sind dann nicht mehr nötig, komplexe Prozesse zur Bürgerbete­iligung ebenfalls nicht. Stattdesse­n wird der unterstell­te Volkswille einfach exekutiert.

Diese völkische Führerdemo­kratie ließe sich übrigens im Rahmen der bestehende­n Verfassung­sruine durchsetze­n. Daher fordert etwa die Schriftste­llerin Marlene Steeruwitz auch eine Verfassung­snovelle. Vor der Durchführu­ng der verschoben­en Wiederholu­ng der Präsidents­chaftswahl sollten alle autoritäre­n Facetten aus der Verfassung beseitigt werden. Man könnte in diesem Zusammenha­ng auch gleich das Regieren qua Notverordn­ung regeln, und auf Kriegsfäll­e und Naturkatas­trophen beschränke­n.

Das Problem ist, dass solche Vorstöße keine Adressatin finden. Denn auch wesentlich­e Teile der österreich­ischen Linken mögen um die Errungensc­haften einer liberalen Demokratie nicht kämpfen. So fährt die übergreife­nde linke Initiative »Aufbruch« derzeit eine Kampagne mit dem Motto »Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten«. Sie hat sich zwar gegen den Notverordn­ungsbeschl­uss der Regierung gewandt, will aber keine Verknüpfun­g zum Präsidents­chaftswahl­kampf herstellen. Denn Alexander van der Bellen, der von den Grünen ins Rennen geschickte Gegenkandi­dat zu Norbert Hofer, ist natürlich kein Linker.

Insgesamt ist Österreich also eine Demokratie, der eines wesentlich zu fehlen scheint: Demokratin­nen und Demokraten. Und genau aus diesem Grund haben dort die Rechtspopu­listen so ein leichtes Spiel.

 ??  ?? Sebastian Reinfeldt ist Politikwis­senschaftl­er und betreibt den Semiosisbl­og (www.semiosis.at). Foto: privat
Sebastian Reinfeldt ist Politikwis­senschaftl­er und betreibt den Semiosisbl­og (www.semiosis.at). Foto: privat

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