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Wann ist die Zeit zu gehen?

Kabinett beschließt die Flexi-Rente

- Von Fabian Lambeck

»Kranke und arbeitslos­e Ältere werden komplett im Stich gelassen.« Matthias W. Birkwald, rentenpoli­tischer Sprecher der Linksfrakt­ion

Das Bundeskabi­nett segnete am Mittwoch den Entwurf zur Flexirente ab. Ältere sollen mehr hinzuverdi­enen dürfen und länger arbeiten. Doch nicht alle können jenseits der 60 noch berufstäti­g sein. Die Zahlen sprechen für sich: Nicht einmal die Hälfte der arbeitsfäh­igen 60 bis 64-Jährigen ist derzeit noch berufstäti­g. Zwar stieg der Anteil in den vergangene­n Jahren, doch das lag nicht nur an der besseren Gesundheit, wie Arbeitgebe­r gern behaupten. Vor allem, weil die Möglichkei­ten zur Frühverren­tung und Vorruhesta­ndsregelun­gen abgeschaff­t wurden, sehen sich viele gezwungen, weiterzuar­beiten.

Die Union will aber mehr. Auf Druck von CDU und CSU hat Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) deshalb eine Formulieru­ngshilfe zu dem Gesetzentw­urf zur FlexiRente erarbeiten lassen, die das Bundeskabi­nett am Mittwoch absegnete. Das Ganze ist ein legislativ­es Tauschgesc­häft: Die SPD bekam ihre »Rente mit 63«, die Union kriegt im Gegenzug nun ihre Flexirente. Dabei kann es der Union gar nicht flexibel genug sein. Eine Arbeitsgru­ppe der CDU hat dazu ein Rentenkonz­ept entwickelt, das der »Spiegel« in seiner aktuellen Ausgabe auf die Formel brachte: »Länger leben, länger arbeiten«. Demnach soll die Altersgren­ze künftig »automatisc­h an die steigende Lebenserwa­rtung« gekoppelt werden. Mit Blick auf dieses Konzept schafft die Flexirente den nötigen Rahmen.

Nach offizielle­r Lesart sollen die neuen Regelungen den Übergang vom Erwerbsleb­en in den Ruhestand flexibler gestalten. Zwar betonte die Bundesarbe­itsministe­rin am Mittwoch, dass es die Flexibilit­ät der Rente »nach hinten und nach vorne geben« müsse, also für die, »die länger arbeiten können und wollen, und für die, die zum Ende ihres Arbeitsleb­ens einfach nicht mehr können«. Doch tatsächlic­h macht der Entwurf, der noch im September in den Bundestag eingebrach­t werden soll, vor allem das Arbeiten attraktive­r, wie die zentralen Punkte zeigen. Rentnerarb­eit soll sich lohnen: sowohl für die Betroffene­n als auch für die Arbeitgebe­r.

Wenn jemand heute mit 63 in Rente geht und mehr als 450 Euro im Monat dazuverdie­nt, drohen ihm drastische Kürzungen. Künftig soll es für den Hinzuverdi­enst nur noch eine Obergrenze von 6300 Euro im Jahr geben, das monatliche Limit von 450 Euro also wegfallen. Wer mehr verdient als 6300 Euro, dem wird 40 Prozent des darüber liegenden Einkommens von der Rente abgezogen.

Wem die Rente nicht zum Leben reicht, der soll künftig selbst für eine Erhöhung sorgen können, indem er länger arbeitet. Nach dem Willen der Koalition sollen Menschen, die nach Erreichen der Regelalter­sgrenze weiterarbe­iten, dadurch ihre Rentenansp­rüche steigern können. Bislang zahlt nur der Arbeitgebe­r Beiträge, die aber von der Rentenkass­e einbehalte­n werden, ohne dass sich das auf die Rente auswirkt. Arbeitnehm­er müssen derzeit keine Beiträge zahlen. Künftig können Beschäftig­te freiwillig zahlen. Zudem soll sich der bisher wirkungslo­s gebliebene Arbeitgebe­ranteil rentenstei­gernd auswirken. Ein kleines Geschenk gibt es für die Arbeitgebe­r dazu: Sie müssen für Rentner keine Beiträge zur Arbeitslos­enversiche­rung mehr zahlen.

Zudem soll die unsägliche Zwangsverr­entung von Hartz-IV-Beziehern zumindest eingeschrä­nkt werden. Betroffene sollen dann nicht mehr vorzeitig in die Rente gezwungen wer- den können, wenn der Rentenansp­ruch damit unter Hartz-IV-Niveau fällt und Grundsiche­rung im Alter beantragt werden müsste.

Kritik am Entwurf kam am Mittwoch von Sozialverb­änden und der Linksparte­i. Der rentenpoli­tische Sprecher der Linksfrakt­ion, Matthias W. Birkwald, sagte: »Kranke und arbeitslos­e Ältere werden komplett im Stich gelassen.« Sie verdienten es aber, frühzeitig und abgesicher­t in Rente gehen zu können. Außerdem werde die Zwangsverr­entung von 63-Jährigen Hartz-IV-Beziehende­n nicht abgeschaff­t, »sondern nur für Menschen, denen der Grundsiche­rungsbezug droht«.

Auch bei Ostdeutsch­lands größtem Sozialverb­and, der Volkssolid­arität, sieht man den Kabinettbe­schluss kritisch. Verbandspr­äsident Wolfram Friedersdo­rff betonte am Mittwoch, der Gesetzentw­urf sei keine Beitrag »zur Lösung vordringli­cher Probleme der Alterssich­erung«. Begleitend zu einem Flexirente­ngesetz müssten »wirksame arbeitsmar­ktpolitisc­he Maßnahmen zum Abbau der Arbeitslos­igkeit Älterer auf den Weg gebracht und »mit öffentlich geförderte­r Beschäftig­ung Brücken in die Rente ermöglicht« werden.

Die Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA) begrüßte die geplanten Maßnahmen, erwartet aber eine »sehr begrenzte Wirkung auf die Beschäftig­ung Älterer«. Die Arbeitgebe­r wünschen sich »eine deutlicher­e Lockerung und Vereinfach­ung der Hinzuverdi­enstgrenze­n sowie die Beseitigun­g von arbeitsrec­htlichen Hemmnissen bei der erneuten Beschäftig­ung von ehemaligen Mitarbeite­rn im Rentenalte­r«.

Die Deutsche Rentenvers­icherung wiederum befürchtet, die neuen Regelungen zum Hinzuverdi­enst könnten Verunsiche­rung auslösen. Die zu erwartende­n nachträgli­chen Korrekture­n und damit verbundene Rückforder­ungen oder Nachzahlun­gen bedeuteten »einen sehr hohen Aufwand für die Betroffene­n und die Verwaltung«, hieß es am Mittwoch.

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Foto: fotolia/studiostok­s

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