Wann ist die Zeit zu gehen?
Kabinett beschließt die Flexi-Rente
»Kranke und arbeitslose Ältere werden komplett im Stich gelassen.« Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linksfraktion
Das Bundeskabinett segnete am Mittwoch den Entwurf zur Flexirente ab. Ältere sollen mehr hinzuverdienen dürfen und länger arbeiten. Doch nicht alle können jenseits der 60 noch berufstätig sein. Die Zahlen sprechen für sich: Nicht einmal die Hälfte der arbeitsfähigen 60 bis 64-Jährigen ist derzeit noch berufstätig. Zwar stieg der Anteil in den vergangenen Jahren, doch das lag nicht nur an der besseren Gesundheit, wie Arbeitgeber gern behaupten. Vor allem, weil die Möglichkeiten zur Frühverrentung und Vorruhestandsregelungen abgeschafft wurden, sehen sich viele gezwungen, weiterzuarbeiten.
Die Union will aber mehr. Auf Druck von CDU und CSU hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) deshalb eine Formulierungshilfe zu dem Gesetzentwurf zur FlexiRente erarbeiten lassen, die das Bundeskabinett am Mittwoch absegnete. Das Ganze ist ein legislatives Tauschgeschäft: Die SPD bekam ihre »Rente mit 63«, die Union kriegt im Gegenzug nun ihre Flexirente. Dabei kann es der Union gar nicht flexibel genug sein. Eine Arbeitsgruppe der CDU hat dazu ein Rentenkonzept entwickelt, das der »Spiegel« in seiner aktuellen Ausgabe auf die Formel brachte: »Länger leben, länger arbeiten«. Demnach soll die Altersgrenze künftig »automatisch an die steigende Lebenserwartung« gekoppelt werden. Mit Blick auf dieses Konzept schafft die Flexirente den nötigen Rahmen.
Nach offizieller Lesart sollen die neuen Regelungen den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand flexibler gestalten. Zwar betonte die Bundesarbeitsministerin am Mittwoch, dass es die Flexibilität der Rente »nach hinten und nach vorne geben« müsse, also für die, »die länger arbeiten können und wollen, und für die, die zum Ende ihres Arbeitslebens einfach nicht mehr können«. Doch tatsächlich macht der Entwurf, der noch im September in den Bundestag eingebracht werden soll, vor allem das Arbeiten attraktiver, wie die zentralen Punkte zeigen. Rentnerarbeit soll sich lohnen: sowohl für die Betroffenen als auch für die Arbeitgeber.
Wenn jemand heute mit 63 in Rente geht und mehr als 450 Euro im Monat dazuverdient, drohen ihm drastische Kürzungen. Künftig soll es für den Hinzuverdienst nur noch eine Obergrenze von 6300 Euro im Jahr geben, das monatliche Limit von 450 Euro also wegfallen. Wer mehr verdient als 6300 Euro, dem wird 40 Prozent des darüber liegenden Einkommens von der Rente abgezogen.
Wem die Rente nicht zum Leben reicht, der soll künftig selbst für eine Erhöhung sorgen können, indem er länger arbeitet. Nach dem Willen der Koalition sollen Menschen, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiterarbeiten, dadurch ihre Rentenansprüche steigern können. Bislang zahlt nur der Arbeitgeber Beiträge, die aber von der Rentenkasse einbehalten werden, ohne dass sich das auf die Rente auswirkt. Arbeitnehmer müssen derzeit keine Beiträge zahlen. Künftig können Beschäftigte freiwillig zahlen. Zudem soll sich der bisher wirkungslos gebliebene Arbeitgeberanteil rentensteigernd auswirken. Ein kleines Geschenk gibt es für die Arbeitgeber dazu: Sie müssen für Rentner keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mehr zahlen.
Zudem soll die unsägliche Zwangsverrentung von Hartz-IV-Beziehern zumindest eingeschränkt werden. Betroffene sollen dann nicht mehr vorzeitig in die Rente gezwungen wer- den können, wenn der Rentenanspruch damit unter Hartz-IV-Niveau fällt und Grundsicherung im Alter beantragt werden müsste.
Kritik am Entwurf kam am Mittwoch von Sozialverbänden und der Linkspartei. Der rentenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Matthias W. Birkwald, sagte: »Kranke und arbeitslose Ältere werden komplett im Stich gelassen.« Sie verdienten es aber, frühzeitig und abgesichert in Rente gehen zu können. Außerdem werde die Zwangsverrentung von 63-Jährigen Hartz-IV-Beziehenden nicht abgeschafft, »sondern nur für Menschen, denen der Grundsicherungsbezug droht«.
Auch bei Ostdeutschlands größtem Sozialverband, der Volkssolidarität, sieht man den Kabinettbeschluss kritisch. Verbandspräsident Wolfram Friedersdorff betonte am Mittwoch, der Gesetzentwurf sei keine Beitrag »zur Lösung vordringlicher Probleme der Alterssicherung«. Begleitend zu einem Flexirentengesetz müssten »wirksame arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zum Abbau der Arbeitslosigkeit Älterer auf den Weg gebracht und »mit öffentlich geförderter Beschäftigung Brücken in die Rente ermöglicht« werden.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) begrüßte die geplanten Maßnahmen, erwartet aber eine »sehr begrenzte Wirkung auf die Beschäftigung Älterer«. Die Arbeitgeber wünschen sich »eine deutlichere Lockerung und Vereinfachung der Hinzuverdienstgrenzen sowie die Beseitigung von arbeitsrechtlichen Hemmnissen bei der erneuten Beschäftigung von ehemaligen Mitarbeitern im Rentenalter«.
Die Deutsche Rentenversicherung wiederum befürchtet, die neuen Regelungen zum Hinzuverdienst könnten Verunsicherung auslösen. Die zu erwartenden nachträglichen Korrekturen und damit verbundene Rückforderungen oder Nachzahlungen bedeuteten »einen sehr hohen Aufwand für die Betroffenen und die Verwaltung«, hieß es am Mittwoch.