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Weit entfernt vom Integratio­nsalltag

Wirtschaft wirbt für Flüchtling­e, stellt aber nicht ein

- Von Uwe Kalbe Mit Agenturen

Flüchtling­e in die Wirtschaft? Die Hoffnung, dass der Übergang reibungsar­m verlaufen könnte, erweist sich als trügerisch. Nun drängt die Kanzlerin. Die Mehrheit der Bevölkerun­g glaubt nicht daran, dass Flüchtling­e den Fachkräfte­mangel in Deutschlan­d verringern können. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) zweifelt daran, wie das am Mittwoch veröffentl­ichte Bildungsba­rometer des ifo-Institut ausweist. Die Wirtschaft fordert von der Politik hingegen seit langem, Zuwanderun­g zu erleichter­n, und auch mit Blick auf die Flüchtling­e drängt sie auf rasche Integratio­n. Ihre Wünsche an die Politik haben genau diesen Hintergrun­d: das Arbeitskrä­ftepotenzi­al in Deutschlan­d aufzubesse­rn.

Doch tatsächlic­h scheinen auch in der Wirtschaft die Zweifel zu überwiegen. Einer Umfrage von »MDR aktuell« zufolge beschäftig­en die zehn umsatzstär­ksten Unternehme­n in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen derzeit nur zwölf Flüchtling­e – und elf von ihnen seien bei den Technische­n Werken Dresden als Ein-Euro-Jobber angestellt. Doch nachdem der Gesetzgebe­r die Hürden für eine Arbeitsauf­nahme gesenkt hat, sieht die Bundesregi­erung die Wirtschaft durchaus in der Pflicht. Ein Gespräch von Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Mittwochab­end mit Unternehme­nsvertrete­rn wollte sich deshalb der Frage widmen, wie die Einglieder­ung von Flüchtling­en in den Arbeitsmar­kt verbessert werden kann. Teilnehmer sollten unter anderem Siemens, Opel, Airbus, Adidas und Volkswagen sein.

Im Februar hatte sich eigens ein Netzwerk aus 36 Unternehme­n zur Initiative »Wir zusammen« vereint, das auf seiner Plattform mitteilt, dass aus der Idee inzwischen »erfolgreic­her Integratio­nsalltag« geworden sei. Doch im Vorfeld des Kanzlerinn­entreffens bremsten Wirtschaft­svertreter schon mal allzu hohe Erwartunge­n. Die meisten jungen Flüchtling­e könnten nicht schnell zu qualifizie­rten Arbeitskrä­ften ausgebilde­t werden. »Der Weg in die Ausbildung braucht Zeit – nach Erfahrunge­n der Betriebe etwa zwei Jahre«, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags (DIHK), Eric Schweitzer, am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Im Frühjahr gab es knapp 140 000 Beschäftig­te aus Asylherkun­ftsländern, rund 30 000 mehr als ein Jahr zuvor, so die Angaben des DIHK. Ihnen stehen 153 000 Geflüchtet­e gegenüber, die (Ende August) als arbeitslos registrier­t waren. Rund 10 000 junge Flüchtling­e befänden sich derzeit in einer Ausbildung.

Zudem, schränkt Schweitzer ein, handele es sich bei den Beschäftig­ten »in den wenigsten Fällen bereits um Flüchtling­e, die 2015 zu uns kamen«. Mithin: Es dauert länger. Vor allem fehlende Deutschken­ntnisse und die Asylverfah­ren stünden einem schnellen Start in die Ausbildung entgegen. Nach Einschätzu­ng von Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) werden die Flüchtling­e in großem Maß erst 2017 in der Arbeitsver­mittlung landen.

Dieser Pessimismu­s prägt auch das Bild der Flüchtling­e in der Öffentlich­keit. Drei von vier Deutschen schätzen deren durchschni­ttlichen Bildungsst­and als niedrig ein, wie aus dem ifo-Bildungsba­rometer hervorgeht. Drei Viertel der Befragten sprachen sich für staatlich finanziert­e, verpflicht­ende Sprachkurs­e aus. Gespalten sind die Bundesbürg­er in der Frage, ob Ausbildung­skosten der Betriebe vom Staat übernommen werden sollten. Dafür sind 45 Prozent der Befragten, dagegen 41 Prozent.

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