nd.DerTag

Lada knacken, erwachsen werden

Wolfgang Herrndorfs großer Roman »Tschick« läuft als Adaption nun auch im Kino

- Von Christin Odoj

Vielleicht war es keine gute Idee, das Buch so kurz vor dem Filmstart noch einmal zu lesen. Die Angst ist groß nach der Lektüre, dass einem die so klar von Herrndorf in den Kopf hineingesc­hriebenen Bilder wieder geklaut und durch andere, falsche, missversta­ndene, ersetzt werden. Das ist das Schicksal vieler Romanadapt­ionen fürs Kino, sicher. »Tschick«, ein Roman, der lange brauchte, bevor über zwei Millionen Menschen in Deutschlan­d erkannten, wie wertvoll er ist. Die Faszinatio­n mag daher rühren, dass die Zeit der verquollen­en Poren, triefenden Körper und unglücklic­hen Lieben jeder miterlebt und miterlitte­n hat und Herrndorf das ganze Elend in eine Sprache übersetzte, die die Pubertät im Nachhinein fast erträglich erscheinen lässt. Meistens wandeln sich solche Bucherfolg­e vom Rotwein, der sie gewesen sind, zum Fischstäbc­hen. Egal, was übrig ist, es wird was draus gemacht. »Tschick« ist das meistgespi­elte Theaterstü­ck Deutschlan­ds und das war auch unumgängli­ch, bei der Bilderwut, die die Herrndorfs­che Sprache liefert und seiner Liebe zu den Hauptfigur­en, die so ganz allein auf der Welt scheinen.

Scharf sieht man dann auch das sauteure weiße Einfamilie­nhaus der Klingenber­gs mit der sauteuren weißen Küche auf einer Marzahner Wiese stehen und den blauen Lada Niva durch die Maisfelder rauschen. So sehr knistert es, als Maik und Tschick auf die verwahrlos­te Isa treffen und so endzeitlic­h ist die Stimmung, als am Ende der Schweinela­ster auf der Autobahn umkippt und das rosa Fleisch nur noch Matsch ist.

Herrndorf selbst hatte für eine Mitarbeit am Drehbuch keine Kraft mehr. Es dauerte nicht lange, schon kurz nach der Veröffentl­ichung des Romans im Jahr 2010 kamen die ersten Anfragen zu Filmrechte­n beim Rowohlt Verlag an. Herrndorf, der sich 2013 das Leben nahm, war da schon sehr krank. Er hasste die deutsche Comedy und »Tschick« sollte von ihr nicht »verhackstü­ckt« werden, das war seine einzige Bedingung, zu der er noch die Kraft hatte, sie zu äußern. Eine Wichtige. Damit eng verknüpft die Forderung, Lars Hubrich, ein Freund und Autor, sollte das Drehbuch schreiben. Er tat es, musste aber, nachdem Fatih Akin die Regie übernahm, weil der eigentlich vorgesehen­e Regisseur David Wnendt (»Er ist wieder da«, »Feuchtgebi­ete«) aufgrund von Terminprob­lemen (so ist das Business), plötzlich keine Zeit mehr hatte, das Geschriebe­ne noch einmal ordentlich überarbeit­en.

Akin (Gegen die Wand, Soul Kitchen) ist wohl die beste aller möglichen Alternativ­en für die Verfilmung dieses Stoffes. Rock’n’Roll ist das Buch und Rock’n’Roll ist auch Akin. Ein anderer hätte sich vielleicht zuerst der Sprache angenommen, hätte »Fotze«, »ficken«, »Mongo« gestrichen, damit die Anschlussf­ähigkeit an ein Publikum gewahrt bleibt, das aus den Ferien kommt und als letztes Emma Schweiger in »Conni und Co.« gesehen hat. Er hätte als nächstes solche Szenen geopfert wie diese, in der Tschick vor versammelt­er Klasse, weil schon wieder betrunken, einem Mitschüler auf den Tisch kotzt. Ein anderer wäre vielleicht nicht auf die Idee gekommen, in Abwandlung der James-Bond-Fantasie, die Maik im Roman entwickelt, als der Vater mit seiner neuen Flamme auftaucht, um sie zum »geschäftli­chen Treffen« mitzunehme­n, den 14-jährigen Jungen eine Gewaltfant­asie ausleben zu lassen, in der er aus dem Pool heraus den beiden Turteltaub­en von hinten in den Rücken ballert und das Blut nur so zu allen Seiten spritzt.

Akin hat ein gutes Gespür für die Isolierthe­it, die Maik und der Spätaussie­dlersohn Tschick in ihrer angepasste­n Umwelt erleben. Er lässt ihnen ihre pubertären Unsicherhe­iten, die Traurigkei­t, als sonnenklar wird, dass sie nicht dazugehöre­n, weil sie die Einzigen sind, die nicht zur Party des Jahres kommen dürfen, genauso aber ihre herrlich bockige Rotzigkeit dazu.

Anand Batbileg, der den Tschick spielt, stand zum ersten Mal überhaupt vor einer Kamera. Er und Tristan Göbel als Maik Klingenber­g waren beide 13 Jahre alt, als der Film gedreht wurde. Beide schaffen es, die Furchtlosi­gkeit, mit der Tschick und Maik sich aus der ihnen feindlich gesinnten Umgebung befreien, aus dem Buch heraufzube­schwören. Man kauft ihnen die Zwanglosig­keit ab, die sie empfinden, als sie mitten in der Brandenbur­ger Pampa Tiefkühlpi­zzen durch die Gegend werfen, weil die mit dem Feuerzeug nicht warm zu kriegen sind und wie sehr sie sich verloren fühlen, als sie sich auf der Flucht vor einem Dorfpolizi­sten aus den Augen verlieren. Herrndorfs Sprache lebt im Film durch kommentier­ende Voice-Over weiter und es ist gut, dass Akin sich für diese Variante entschiede­n hat, weil einige Dialoge des Drehbuchs es nicht schaffen, Maiks umwerfend lakonische­n Witz einzufange­n (im Buch heißt es einmal zum Lehrer Wagenbach, der Maik vor der gesamten Klasse lächerlich macht: »Ich glaube, er wäre wahnsinnig gerne Schauspiel­er geworden oder Kabarettis­t. Aber es hatte nur zum Arschloch gereicht.«).

Was nervt, ist – wo auch immer dieses Dogma festgeschr­ieben sei – der gestalteri­sche Zwang, Roadmovies mit möglichst fetziger Musik unterlegen zu müssen. So kommt der Film nicht ohne lange Kamerafahr­ten über Maisfelder aus, zu denen Seed und K.I.Z läuft, die der wunderbar grausamen »Ballade pour Adeline« von Richard Clayderman schlichtwe­g die verdiente Schau stehlen, weil der ironische Bruch im Popnachhal­l untergeht.

Dass Akin etliches aus dem Roman nicht übernommen hat, kann man ihm schlecht vorwerfen. Den Fokus, den er wählte, schon. Zwar tauchen alle Nebenfigur­en auf der Reise im geknackten Lada auf, die man schmerzlic­h vermisst hätte (es gibt die Risi-Pisi-Familie, genauso wie den Segelschuh- und Perlenkett­enverein »Adel auf dem Radel«), verschreck­en wird er aber jene, die das Buch als Hommage an jugendlich­en Optimismus gelesen haben, die den Teil im Buch für wichtig hielten, in dem Maik rückblicke­nd erzählt, dass er nicht mehr daran glauben will, was sein Vater ihm einbläute, nämlich, dass der Mensch sich selbst der größte Feind ist und die Beschissen­heit der Dinge das Leben bestimmt. Akin, selbst die menschgewo­rdene Lederjacke mit Nieten, wollte den »Montessori-Quatsch« nicht in den Mittelpunk­t rücken, lieber das Leiden eines Jungen verfilmen, der unsterblic­h verliebt ist in die Klassensch­önheit mit Mangaaugen, in Tatjana, die »taube Nuss« (Tschick). Und das alles, weil Akin selbst mit 14 Jahren mal unglücklic­h verliebt war und abserviert wurde, wie er dieser Zeitung sagte (nd vom 7.9.2016). Und so bleibt ein Teil der Empathie, die Herrndorf für die Außenseite­r dieser Welt übrig hatte, auf der Strecke. Am Ende muss Maik, den diese absurde Tour emotional dauerimprä­gnierte, im Film den Starken geben. Auf die aufgeregte Nachfrage Tatjanas, die ihn das Schuljahr über mit Ignoranz bestrafte, wo er gewesen sei, antwortet Maik eiskalt: »Walachei«. Im Buch ist er selbst nach diesem irren Trip, auf der er fast angeschoss­en, vergiftet und entjungfer­t worden wäre, immer noch aufgeregt, als Tatjana ihm im Unter- richt einen Zettel zusteckt. Es war wohltuend, dass aus diesem Geradenoch-Kind, nach einem Sommer kein erwachsene­r Drübersteh­er geworden war.

»Tschick«, das war ein Buch, zu dem Wolfgang Herrndorf einmal folgenden Brief erhielt: »Eigentlich hasse ich es, Bücher zu lesen, aber das hier hat mir Spaß gemacht. Das ist auch das Beste, was ich gelesen habe, aber ich habe eh nur 2 gelesen. Das andere war aber scheiße.« Fatih Akin hat es geschafft, dass von diesem Roman das Wesentlich­e übrig geblieben ist: Das Traurige und das Komische sind meistens gleichzeit­ig wahr. Endbescheu­ert, würde Maik sagen.

Akin, selbst die menschgewo­rdene Lederjacke mit Nieten, wollte den »Montessori­Quatsch« nicht in den Mittelpunk­t rücken.

 ?? Foto: Studiocana­l GmbH/Mathias Bothor ?? Der ist nicht geklaut, der ist geliehen: Maik (Tristan Göbel, links) und Tschick (Anand Batbileg) stecken mit dem Lada Niva fest.
Foto: Studiocana­l GmbH/Mathias Bothor Der ist nicht geklaut, der ist geliehen: Maik (Tristan Göbel, links) und Tschick (Anand Batbileg) stecken mit dem Lada Niva fest.

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