Zögern, Staunen
Frauke Tuttlies porträtiert einen Sonderling
Da lebt so ein rundum Sonderling, Herr Grundmann, der einzige Angestellte im Tabakmuseum irgendwo in der norddeutschen Provinz, seit längerer Zeit schon allein in einem alten Mietshaus. Die Wohnung über ihm steht leer. Ein Liebhaber der Literatur- und Geistesgeschichte, ein Wörter- und Formulierungssammler, was er als Erbe seiner früh verstorbenen Mutter, einer polyglotten Übersetzerin, übernommen zu haben scheint: Sein Leben spielt sich zwischen Museum, Einkäufen und Wanderungen mit seinem Hund Königsberg ab.
Geordnet, strukturiert, übersichtlich dies alles – bis, ja bis die neue Mieterin auftaucht: Franziska, eine Klavierlehrerin, die Grundmanns liebgewonnenen, längst nicht mehr in Frage gestellten Alltag mächtig durcheinanderwirbelt. Weniger freilich mit ihren Gewohnheiten und Eigentümlichkeiten denn mit ihrer Erscheinung selbst. Je länger dies andauert, desto mehr gerät Herr Grundmann aus der Spur und schließlich völlig durcheinander. Wüsste er nur das rechte Wort, die passende Geste, das angemessene Verhalten ihr gegenüber zu finden. Da plötzlich reimt sich alles, die Welt und der Alltag, auf den Namen Franziska – diese fremde Person, die gekommen ist, um fortan nicht mehr zu gehen.
Wahrhaftig eine »unerhörte Begebenheit«, wie Goethe seinerzeit die Form der Novelle definierte. Wie ringt Herr Grundmann darum, etwas zu sagen, was seine Gefühle zusammenfasst: »seine Abwehr, sein Zögern, seine Angst, seinen Rückzug, seine Eifersucht, seine Verwirrung, sein Staunen, seine Bewunderung, seine Sehnsucht, seine Vergangenheit, seinen Stolz, seine Liebe, seine Lust, all das Chaos, ja, all das, was sich in der letzten Zeit in seiner Brust angestaut hat. Es drängt hinaus. – Und wie es hinausdrängt! – Herr Grundmann sagt ›Franziska‹«.
Eine wahrhaft beglückende Lektüre und eine wirkliche Preziose, die Frauke Tuttlies da vorgelegt hat.