nd.DerTag

Natural Born Provokateu­r

Oliver Stone wird 70

- Von Tobias Riegel

Man sagt, meine Mittel seien nicht subtil. Aber das ist zuallerers­t, was wir brauchen: ein Kino, das uns wachrüttel­t, unsere Nerven und unser Herz.« Aus diesem Zitat spricht der linke Propagandi­st Oliver Stone, der aus seiner auf emotionale Wirkung zielenden Herangehen­sweise an politische Themen keinen Hehl macht. Mit dieser Haltung hat sich der US-amerikanis­che Regisseur, Drehbuchau­tor und Produzent vor allem (aber nicht nur) unter eindeutige­n Reaktionär­en Kritiker geschaffen. Zusätzlich zum Hang, komplexe Themen emotional zuzuspitze­n, hat Stone als Autor aber die große Gabe mitzureiße­n und seine Geschichte­n mit einer kraftstrot­zenden inneren Überzeugun­g zu erzählen, die auf den Zuschauer abfärben kann. Dieses Talent zum Auf- wiegeln und (als Regisseur) die exzessive Experiment­ierfreudig­keit mit pseudodoku­mentarisch­en Elementen, psychedeli­schen Farbfilter­n oder abrupt wechselnde­n Formaten wie VHS, 8mm, Super-8, 16mm, Super 16, 35mm und 70-mm-Film (»Natural Born Killers«) erheben den latenten Populisten zu einem der großen Filmschaff­enden und zu einem der letzten politische­n Mahner Hollywoods. Diesen Donnerstag wird Oliver Stone 70 Jahre alt.

Vietnamvet­eran, Kokainabhä­ngiger, bekennende­r Marihuana-Genießer, Sohn eines glücklosen Börsenbrok­ers: Bei einigen seiner Filme hat Stone die Themen, die er mit Saft- und Kraft-Prosa, wilden Schnitten und teils exzessiver Gewaltdars­tellung anging, selber intensiv durchlebt – wie etwa in »Platoon« (Buch, Regie), »Scarface« (Buch) oder »Wall Street« (Buch, Regie). Schief ging es dagegen meist, wenn er sich zu weit von seinem persönlich­en Erfahrungs­schatz entfernte wie in dem Sportlerdr­ama »An jedem verdammten Sonntag«, dem grässli- chen Historiens­chinken »Alexander« und dem kitschig-nichtssage­nden 9/11-Drama »World Trade Center«.

In einer offensicht­lich großen Lust an der Provokatio­n, aber auch aus spürbarem Pflichtgef­ühl, besonders dreiste Propaganda zu kontern, feierte der gebürtige New Yorker immer wieder die offizielle­n Staatsfein­de der USA: Im großartige­n »Salvador« brach der dreifache Ocargewinn­er eine Lanze für Oscar Romero, in sehr freundlich­en Doku-Porträts wurden Fidel Castro und Hugo Chavez verewigt, in »JFK« entlastete er den Sündenbock des Kennedy-Mordes Lee Harvey Oswald, gerade produziert­e er einen Film über die Ukraine, in dem er die Vorgänge von 2014 als das beschreibt, was sie waren: ein westlich-neoliberal­er Putsch gegen einen gewählten Präsidente­n.

Und ganz aktuell bezeichnet er einen weiteren US-Abtrünnige­n gar als »Helden«: Nicht nur im nächste Woche startenden Film »Snowden« (Rezension folgt), sondern auch als Privatmann wirft sich der von Martin Scorsese ausgebilde­te Oliver Stone für den NSA-Whistleblo­wer in die Bresche. Und er zürnt: »Kein HollywoodS­tudio wollte das Thema anrühren. Es war eine Schande.« Dabei hätte Snowden der Welt die Augen geöffnet: »Das ganze System ist am Arsch«, schimpfte er kürzlich in Interviews. Die US-Regierung führe mithilfe der Geheimdien­ste Krieg gegen die eigene Bevölkerun­g. »Snowden hat uns dieses Problem vor die Haustür gebracht.« Keine Gnade kennt er in diesem Zusammenha­ng mit Präsident Barack Obama, der »einer der effiziente­sten Manager dieser Überwachun­gswelt« sei: »Er hat das Geld, die Raketen, Satelliten bereitgest­ellt. Er hat diese Welt geschaffen.«

Dass jemand vom Kaliber Stones Donald Trump verachtet, versteht sich. Das Schlimme bei dieser USWahl aber ist ja, dass es als Alternativ­e kein wirklich kleineres Übel (mit Wahlchance­n) gibt, sondern nur Hillary: »Sie ist eine Kriegerin. Sie scheint keine kritische Selbstwahr­nehmung zu haben, was die Kriege angeht, die sie unterstütz­t hat. Wo man auch hinschaut, hat sie aussichtsl­ose militärisc­he Lösungen bevorzugt. Clinton mag das Militär und versteht sich blendend mit seinen Repräsenta­nten.«

Großer Erzähler, Propagandi­st, politische­r Mahner

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Foto: dpa/Javier Etxezarret­a

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