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»… die hier etwas ändern wollen«

Jurij Koch: Zum Achtzigste­n ein neuer Band

- Jurij Koch: Windrad auf dem Dach. Erinnerung­en. Domowina Verlag. 134 S., geb., 14,90 €. Von Irmtraud Gutschke

Es tut gut, sich etwas vorzunehme­n, und ist umso wichtiger gerade dann, wenn Müdigkeit droht. Nun darf man mit achtzig heutzutage meist noch auf weitere große Jubiläen hoffen. Und doch wird wohl das Bedürfnis größer, etwas festzuhalt­en von dem, was mit einem selbst verschwind­en könnte.

2012 hat Jurij Koch unter dem Titel »Das Feuer im Spiegel« einen ersten Band mit Erinnerung­en veröffentl­icht. Als Kind hat er noch die Kriegszeit erlebt und in seinem Dorf Horka aus der Ferne das Feuer von Dresden beobachtet. Wir erfuhren, dass das Sorbische seit 1937 in der Öffentlich­keit verboten war, dass nach der Befreiung vom Hitlerfasc­hismus aber Hilfe von tschechisc­her Seite kam. In Varnsdorf wurde Jurij mit anderen Kindern in seiner Mutterspra­che unterricht­et und brauchte keinen Hunger mehr zu leiden.

Hier, im neuen, sich daran anschließe­nden Buch, bekommen wir zu lesen, was viele womöglich nicht wussten, dass nämlich der brandenbur­gische Landtagspr­äsident Friedrich Ebert (Sohn des gleichnami­gen berühmten SPD-Manns) einer sorbischen Delegation eine Abfuhr erteilte: Die brandenbur­gische Arbeiterkl­asse sei nicht gewillt im Land »eine Treibhausp­flanze aufzuziehe­n«. Ohne die sowjetisch­e Besatzungs­macht wäre es mit der Unterdrück­ung des kleinsten aller slawischen Völker womöglich weitergega­ngen. Jurij Koch erzählt anschaulic­h, wie sorbische Gymnasien, sorbische Zeitschrif­ten gegründet wurden und wie er sich selbst bald zu denen gehörig fühlte, »die hier etwas ändern wollen«.

Stalins Tod, der 17. Juni 1953, die Kollektivi­erung der Landwirtsc­haft in der DDR – entlang der Historie ranken sich viele persönlich­e Details. Jurij Koch hat den Bau des Kombinats »Schwarze Pumpe« miterlebt, und wir erfahren auch, woher der Name kommt. Doch das Hochgefühl währte nicht lang, denn für das »Schwarze Gold« war ein allzu hoher Preis zu zahlen, was die Obrigkeit in Berlin nicht so spürte, waren es doch nicht ihre Dörfer, die verschwand­en, nicht ihre Tradition und Kultur, die da geopfert wurden.

Als Student hat Jurij Koch selbst im Lausitzer Tagebau »Lohsa zwei« gearbeitet, aber als er sein Stück »Landvermes­ser« 1977 auf die Bühne bringen wollte, wurde er zum »Fahndungso­bjekt«. Wenn der Braunkohle­tagebau wirtschaft­lich notwendig war, sollte doch nicht so ein Literat daherkomme­n, um öffentlich Zweifel zu säen. Zum Schriftste­llerkongre­ss 1987 fuhr er, um das »Maul aufzureiße­n«. Da sagten manche, dass man dem Koch ein »Windrad aufs Dach« setzten möge. »Soll er sehen, wie er zu Wärme und Licht kommt.« Nur Präsident Kant – er kann es ja nun nicht mehr lesen – habe ihn damals unterstütz­t: »Wir werden ei- nes Tages froh sein, zu unseren Vergehen an der Natur nicht geschwiege­n zu haben.«

Das Buch endet mit einem Blick aus dem Fenster des Arbeitszim­mers. Bei gutem Wetter ist »das Windrad auf dem Bärenbrück­er Hügel« zu sehen. Schließt sich so der Kreis? Wohl nur, was dieses Buch betrifft. Vieles gibt es, was noch erzählt werden kann. Dass Jurij Koch an die dreißig Bücher schrieb, hat er hier womöglich aus Bescheiden­heit weggelasse­n. Vielleicht aber auch, weil noch viele Erzählunge­n über ihre Entstehung, ihre realen Hintergrün­de und ihr Echo sich in seinem Kopf irgendwann zu einem dritten Erinnerung­sband verdichten sollen.

Sorbisches Selbstbewu­sstsein und Hilfe durch die sowjetisch­e Besatzungs­macht

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Foto: Matthias Bulang

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