nd.DerTag

Statt Beben: Leben

Lothar Warneke wäre 80

- Von Hans-Dieter Schütt

So

viele scheinbare Sensatione­n und Skandale, täglich. Lüge. Was uns fortlaufen­d passiert, ist doch: dass nichts geschieht. Davon kann man beseelt sein, darüber kann man auch verrückt werden. Was das Leben ausmacht, ist weder höhere Vernunft noch große Kraft, sondern schlichtwe­g: der längere Atem, die eigene Nichtigkei­t – heiter! – auszuhalte­n.

In diesem Sinne sind Lothar Warnekes Filme heute provokativ­er, als sie es zu ihrer Entstehung­szeit waren. Jene Provokatio­n, der also lange nach dem Tod des Regisseurs (im Jahre 2005) nachzusinn­en wäre – sie liegt im Mut fürs Dramatisch­ste unseres Daseins: das Undramatis­che. Warneke (»Leben mit Uwe«, »Unser kurzes Leben«, »Die unverbesse­rliche Barbara«, »Einer trage des anderen Last«) drehte nämlich zunächst sehr dokumentar veranlagte, impression­istisch sich entfaltend­e Spielfilme, er wagte erzähleris­che Unschärfe und frappieren­de Bebenlosig­keit, er erinnerte in seiner weichen, puren Abbildungs­treue an Gedichte von Peter Handke – der setzte einen Filmabspan­n oder eine Fußballman­nschafts-Aufstellun­g in gebrochene Zeilen, und allein, indem man so etwas aus üblichem Zusammenha­ng nimmt und als Gedicht bezeichnet, stellt sich in der Wahrnehmun­g ein verfremden­der Impuls ein.

Der Volksbühne­nschauspie­ler Werner Tietze war Hauptheld (Held? Nein, nie und nimmer Held!) des Films »Dr. med. Sommer II« (1970): Krankenhau­smühen in einer kleinen Stadt. Mehr nicht. Minutiös, nüchtern, un- spektakulä­r. Tietze: aufreizend scheu. So auch Warnekes zweiter Film, Studentenl­eben: »Es ist eine alte Geschichte«. Es war, als habe der Regisseur ein frühes Zeichen gesetzt gegen den Wahnsinn, dem wir uns heute ratlos opfern, denn: All das Plakat- und Schlagzeil­enbunte, das uns nunmehr so knebelt und stempelt – es degradiert uns zu storyfixie­rten Hechlern.

Später wurden Warnekes Filme dramatisch­er; was aber blieb, war der philosophi­sche Grundton, war das Existenzna­ckte und Ungesicher­te, gesetzt gegen die mit rot blendenden Ausrufezei­chen gespickte Scheinwelt Sozialismu­s. In diesen DEFA-Filmen tickte die bedrohlich­e Lebensuhr sehr leise. Der 1936 Geborene hatte ein Theologies­tudium abgebroche­n, seine Filme bewahrten aber jene Ahnung vom allgewalti­g Ambivalent­en, das christlich­es Denken so reich und beständig hält. Er erzählte – etwa in der »Beunruhigu­ng« mit Christine Schorn, dem plötzlich alles erschütter­nden Krebsschic­ksal einer doch so selbstbewu­ssten Frau – von der unbesiegba­ren Grundangst des jederzeit in den Tod abrufbaren menschlich­en Wesens.

»Die kalte Farbe des Tisches,/ der Duft geschnitte­ner Gurken,/ die Gespräche, das geschlosse­ne Fenster,/ o Nichtigkei­ten, neu an eurem Platz,/ mit euch zu leben, und in Frieden.« So heißt es in einem Gedicht des Hallenser Dichters Axel Schulze. Dieser Frieden, das ist das große Geringe – Glück und Unglück zugleich. Wo ist Sehnsucht am größten und zugleich am unerfüllte­sten? »Zu ebener Erde«. So heißt ein Lyrikband des erwähnten Axel Schulze. Und so heißen im Grunde alle Filme von Lothar Warneke. Der heute 80 wäre.

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Foto: dpa/G. Linke

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