Irak will IS besiegen – Offensive auf Mossul
Allianz von 25 000 Kämpfern begann den Sturm auf die letzte Bastion der Islamisten im Zweistromland
In Irak hat die Offensive auf Mossul begonnen. Der Kampf gegen den Islamischen Staat dort ist kompliziert; Hilfsorganisation befürchten einen Flüchtlingsstrom. Mitten in der Nacht verkündete der irakische Regierungschef Haider al-Abadi auf einem staatlichen Fernsehsender den bereits seit Langem erwarteten Beginn der Offensive gegen die letzte große Stadt, die sich in Irak unter Kontrolle des Islamischen Staats (IS) befindet: Eine bis zu 25 000 Kämpfer umfassende Allianz aus Militär, Polizei sowie kurdischen und sunnitischen Milizen begann, mit Luftunterstützung des US-Militärs auf das offiziell 1,2 Millionen Einwohner zählende Mossul vorzurücken. Es sei die größte Militäroperation in Irak seit dem Sturz von Saddam Hussein, sagt ein Sprecher der irakischen Re- gierung, die die Öffentlichkeit gleichzeitig auf einen langen und verlustreichen Kampf vorbereitet.
Denn zwar meldeten die kurdischen Peschmerga bereits wenige Stunden später, man habe sieben Dörfer eingenommen, gab das irakische Militär bekannt, man habe mehrere Verteidigungslinien des IS durchbrochen. Doch in der Stadt, die 2014 vom IS ohne nennenswerten Widerstand des Militärs erobert wurde, soll mittlerweile ein Verteidigungsnetz aus Tunneln, Gräben und Sprengfallen errichtet worden sein. Am Sonntag waren Flugblätter abgeworfen worden: Die Bevölkerung solle zu Hause bleiben, und sich von IS-Kämpfern fernhalten. Man sei bemüht, zivile Opfer zu vermeiden.
Beim Flüchtlingshilfswerk UNHCR befürchtet man nun einen weiteren Strom Fliehender; bis zu 700 000 Menschen könnten versuchen, den Kämpfen zu entkommen, und dies kurz vor Beginn des Winters. Es gebe keine ausreichenden Kapazitäten in Flüchtlingslagern; zudem könnten Zivilisten durch die unübersichtliche militärische Situation zwischen die Fronten geraten.
Bundesaußenminister FrankWalter Steinmeier forderte, die internationale Gemeinschaft müsse umgehend mit Planungen für einen Wiederaufbau der Region beginnen. Doch im Umfeld der Anti-IS-Allianz wird bereits um die künftige Vorherrschaft gestritten. Die irakische Regierung hat auch schiitische Milizen in die Offensive eingebunden, ohne dass diese offiziell Teil der Allianz sind. Kurden und Sunniten sehen dies als Versuch dieser Gruppen, ihren Einfluss in der überwiegend sunnitisch geprägten Stadt auszubauen, die bereits in den Jahren vor Eroberung durch den IS Schauplatz von Gewaltausbrüchen war.
Die Regierung behauptet, dass der IS nach einem Fall Mossuls in Irak besiegt sei. Doch seit dem Wochenende erschüttert eine Anschlagsserie Bagdad und Umgebung. Bis zu 200 Menschen kamen dabei bis Montagmittag ums Leben; die Verantwortung übernahm jeweils der Islamische Staat.
Die Polizeiführung von Bagdad forderte deshalb schon vor Beginn der Offensive auf Mossul zusätzliche Mittel für den Kampf gegen den Terror. Geschehen ist das Gegenteil: Bis zu 30 Prozent der für den Großraum Bagdad vorgesehenen Sicherheitskräfte wurden an die Front verlegt.
Beim Flüchtlingshilfswerk UNHCR befürchtet man einen weiteren Strom Fliehender – bis zu 700 000.
Der Sturm auf die vom Islamischen Staat (IS) beherrschte nordirakische Stadt Mossul hat begonnen. Unklar ist, was dort geschehen wird.
Offiziell reiht sich dieser Angriff auf Mossul in den »Kampf gegen den Islamischen Staat« ein und wird vor allem von rund 30 000 irakischen und kurdischen Kämpfern ausgeführt. Die Offensive diene der »Befreiung von Mossul von Daesh« verkündete der irakische Ministerpräsident Haidar al Abadi in einer Fernsehansprache am Sonntagabend. An der Seite der irakischen Armee sind auch Soldaten und Milizen im Einsatz, die von iranischen Militärs ausgebildet und bewaffnet wurden.
Andere Milizen wurden von den USA aufgestellt und trainiert. »Viel Glück« wünschte der US-Sonderbeauftragte für den internationalen Krieg gegen den IS, Brett McGurk, »den heroischen irakischen Streitkräften, kurdischen Peschmerga und Ninewa-Freiwilligen. Wir sind stolz, in dieser historischen Operation an Eurer Seite zu stehen.«
Bei den »Freiwilligen zum Schutz der Ninewa-Ebene« handelt es sich um eine vorwiegend aus assyrischen Christen und Jesiden bestehende Miliz, die im Oktober 2014 gegründet und seitdem von den Vereinigten Staaten angeleitet und bewaffnet worden ist.
Im Hintergrund des Vormarsches auf Mossul agiert die »Anti-IS-Allianz«, an der auch Deutschland beteiligt ist, unter Führung der USA. Washington hatte erst Ende September weitere 600 Spezialkräfte »zur Beratung« für den Sturm auf Mossul nach Irak entsandt und damit die Zahl der US-Militärberater und -Spezialkräfte auf 5100 erhöht. Die Bundeswehr bildet seit Anfang 2015 mit bis zu 150 Soldaten kurdische Peschmerga in der nordirakischen Stadt Erbil aus. Anfang Oktober schickte Deutschland 71 Tonnen Militärgüter an die kurdische Regionalregierung, darunter mehr als 3,9 Millionen Schuss für G36-Gewehre. Diese »Materiallieferungen« der Bundeswehr belaufen sich nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Berlin seit 2014 auf insgesamt mehr als 2200 Tonnen.
Wie viele ausländische Soldaten offiziell oder als Angestellte internationaler Sicherheitsfirmen in den Reihen der irakischen Armee und der kurdischen Peschmerga kämpfen, ist unklar. Sicher ist aber, dass auch türkische Truppen im Einsatz sein werden, wie Präsident Recep Tayyib Erdogan verkündet hat. Das geschieht zwar ohne Zustimmung der irakischen Regierung, doch Erdogan betonte: »Wir werden bei der Operati- on dabei sein, wir werden am Tisch sitzen. Es ist nicht möglich, dass wir außen vor bleiben«, so der Präsident.
Mossul ist die die zweitgrößte Stadt Iraks, verfügt über Ölvorkommen und – mit dem Tigris – über reichlich Wasser. Die Stadt liegt in einer fruchtbaren, landwirtschaftlich genutzten Ebene, die seit Jahrtausenden von einer Vielzahl religiöser und ethnischer Gruppen bewohnt wird. Das älteste bekannte Kloster, Deir Mar Matti, befindet sich nördlich von Mossul, Lalish, das religiöse Zentrum der Jesiden, ebenfalls unweit von der Metropole.
Die Millionenstadt liegt aber auch am Rande der »umstrittenen Gebiete«, die seit der völkerrechtswidrigen US-geführten Invasion in Irak 2003 von den nordirakischen Kurden beansprucht wird. Sie regieren von Erbil aus bereits drei nordirakische Provinzen. Bagdad besteht auf dem Verbleib der Stadt unter staatlicher irakischer Kontrolle; doch vieles deutet daraufhin, dass die USA und westliche Unterstützer der nordirakischen Kurden – auch Deutschland – den »Anti-IS-Kampf« um Mossul dazu nutzen, die Machtverhältnisse in Irak neu zu gestalten. Damit verbunden ist eine Aufteilung des Landes entlang religiöser und ethnischer Trennlinien. Das so entstehende neue Gebilde wird auch gern als »Föderation« bezeichnet.
Die IS-Kämpfer könnten sich derweil ungehindert aus Mossul zurückziehen, wie es bereits in den nordsyrischen Städten Manbij, Jaraboulus und zuletzt Dabik geschehen ist. Der russische Nachrichtensender »Russia Today« berichtete unter Berufung auf eine anonyme Quelle des Moskauer Militärs, dass die USA und Saudi-Arabien angeblich Tausenden IS-Kämpfern freies Geleit nach Syrien zugesagt hätten – unter Kontrolle des saudischen Geheimdienstes. Sollte das zutreffen, wäre der Einzug der irakischen Armee und kurdischer Peschmerga nach Mossul sogar ohne großes Blutvergießen möglich. Dann allerdings könnte um die Kontrolle von Mossul ein neuer Kampf beginnen.