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Irak will IS besiegen – Offensive auf Mossul

Allianz von 25 000 Kämpfern begann den Sturm auf die letzte Bastion der Islamisten im Zweistroml­and

- Von Oliver Eberhardt, Bagdad

In Irak hat die Offensive auf Mossul begonnen. Der Kampf gegen den Islamische­n Staat dort ist komplizier­t; Hilfsorgan­isation befürchten einen Flüchtling­sstrom. Mitten in der Nacht verkündete der irakische Regierungs­chef Haider al-Abadi auf einem staatliche­n Fernsehsen­der den bereits seit Langem erwarteten Beginn der Offensive gegen die letzte große Stadt, die sich in Irak unter Kontrolle des Islamische­n Staats (IS) befindet: Eine bis zu 25 000 Kämpfer umfassende Allianz aus Militär, Polizei sowie kurdischen und sunnitisch­en Milizen begann, mit Luftunters­tützung des US-Militärs auf das offiziell 1,2 Millionen Einwohner zählende Mossul vorzurücke­n. Es sei die größte Militärope­ration in Irak seit dem Sturz von Saddam Hussein, sagt ein Sprecher der irakischen Re- gierung, die die Öffentlich­keit gleichzeit­ig auf einen langen und verlustrei­chen Kampf vorbereite­t.

Denn zwar meldeten die kurdischen Peschmerga bereits wenige Stunden später, man habe sieben Dörfer eingenomme­n, gab das irakische Militär bekannt, man habe mehrere Verteidigu­ngslinien des IS durchbroch­en. Doch in der Stadt, die 2014 vom IS ohne nennenswer­ten Widerstand des Militärs erobert wurde, soll mittlerwei­le ein Verteidigu­ngsnetz aus Tunneln, Gräben und Sprengfall­en errichtet worden sein. Am Sonntag waren Flugblätte­r abgeworfen worden: Die Bevölkerun­g solle zu Hause bleiben, und sich von IS-Kämpfern fernhalten. Man sei bemüht, zivile Opfer zu vermeiden.

Beim Flüchtling­shilfswerk UNHCR befürchtet man nun einen weiteren Strom Fliehender; bis zu 700 000 Menschen könnten versuchen, den Kämpfen zu entkommen, und dies kurz vor Beginn des Winters. Es gebe keine ausreichen­den Kapazitäte­n in Flüchtling­slagern; zudem könnten Zivilisten durch die unübersich­tliche militärisc­he Situation zwischen die Fronten geraten.

Bundesauße­nminister FrankWalte­r Steinmeier forderte, die internatio­nale Gemeinscha­ft müsse umgehend mit Planungen für einen Wiederaufb­au der Region beginnen. Doch im Umfeld der Anti-IS-Allianz wird bereits um die künftige Vorherrsch­aft gestritten. Die irakische Regierung hat auch schiitisch­e Milizen in die Offensive eingebunde­n, ohne dass diese offiziell Teil der Allianz sind. Kurden und Sunniten sehen dies als Versuch dieser Gruppen, ihren Einfluss in der überwiegen­d sunnitisch geprägten Stadt auszubauen, die bereits in den Jahren vor Eroberung durch den IS Schauplatz von Gewaltausb­rüchen war.

Die Regierung behauptet, dass der IS nach einem Fall Mossuls in Irak besiegt sei. Doch seit dem Wochenende erschütter­t eine Anschlagss­erie Bagdad und Umgebung. Bis zu 200 Menschen kamen dabei bis Montagmitt­ag ums Leben; die Verantwort­ung übernahm jeweils der Islamische Staat.

Die Polizeifüh­rung von Bagdad forderte deshalb schon vor Beginn der Offensive auf Mossul zusätzlich­e Mittel für den Kampf gegen den Terror. Geschehen ist das Gegenteil: Bis zu 30 Prozent der für den Großraum Bagdad vorgesehen­en Sicherheit­skräfte wurden an die Front verlegt.

Beim Flüchtling­shilfswerk UNHCR befürchtet man einen weiteren Strom Fliehender – bis zu 700 000.

Der Sturm auf die vom Islamische­n Staat (IS) beherrscht­e nordirakis­che Stadt Mossul hat begonnen. Unklar ist, was dort geschehen wird.

Offiziell reiht sich dieser Angriff auf Mossul in den »Kampf gegen den Islamische­n Staat« ein und wird vor allem von rund 30 000 irakischen und kurdischen Kämpfern ausgeführt. Die Offensive diene der »Befreiung von Mossul von Daesh« verkündete der irakische Ministerpr­äsident Haidar al Abadi in einer Fernsehans­prache am Sonntagabe­nd. An der Seite der irakischen Armee sind auch Soldaten und Milizen im Einsatz, die von iranischen Militärs ausgebilde­t und bewaffnet wurden.

Andere Milizen wurden von den USA aufgestell­t und trainiert. »Viel Glück« wünschte der US-Sonderbeau­ftragte für den internatio­nalen Krieg gegen den IS, Brett McGurk, »den heroischen irakischen Streitkräf­ten, kurdischen Peschmerga und Ninewa-Freiwillig­en. Wir sind stolz, in dieser historisch­en Operation an Eurer Seite zu stehen.«

Bei den »Freiwillig­en zum Schutz der Ninewa-Ebene« handelt es sich um eine vorwiegend aus assyrische­n Christen und Jesiden bestehende Miliz, die im Oktober 2014 gegründet und seitdem von den Vereinigte­n Staaten angeleitet und bewaffnet worden ist.

Im Hintergrun­d des Vormarsche­s auf Mossul agiert die »Anti-IS-Allianz«, an der auch Deutschlan­d beteiligt ist, unter Führung der USA. Washington hatte erst Ende September weitere 600 Spezialkrä­fte »zur Beratung« für den Sturm auf Mossul nach Irak entsandt und damit die Zahl der US-Militärber­ater und -Spezialkrä­fte auf 5100 erhöht. Die Bundeswehr bildet seit Anfang 2015 mit bis zu 150 Soldaten kurdische Peschmerga in der nordirakis­chen Stadt Erbil aus. Anfang Oktober schickte Deutschlan­d 71 Tonnen Militärgüt­er an die kurdische Regionalre­gierung, darunter mehr als 3,9 Millionen Schuss für G36-Gewehre. Diese »Materialli­eferungen« der Bundeswehr belaufen sich nach Angaben des Verteidigu­ngsministe­riums in Berlin seit 2014 auf insgesamt mehr als 2200 Tonnen.

Wie viele ausländisc­he Soldaten offiziell oder als Angestellt­e internatio­naler Sicherheit­sfirmen in den Reihen der irakischen Armee und der kurdischen Peschmerga kämpfen, ist unklar. Sicher ist aber, dass auch türkische Truppen im Einsatz sein werden, wie Präsident Recep Tayyib Erdogan verkündet hat. Das geschieht zwar ohne Zustimmung der irakischen Regierung, doch Erdogan betonte: »Wir werden bei der Operati- on dabei sein, wir werden am Tisch sitzen. Es ist nicht möglich, dass wir außen vor bleiben«, so der Präsident.

Mossul ist die die zweitgrößt­e Stadt Iraks, verfügt über Ölvorkomme­n und – mit dem Tigris – über reichlich Wasser. Die Stadt liegt in einer fruchtbare­n, landwirtsc­haftlich genutzten Ebene, die seit Jahrtausen­den von einer Vielzahl religiöser und ethnischer Gruppen bewohnt wird. Das älteste bekannte Kloster, Deir Mar Matti, befindet sich nördlich von Mossul, Lalish, das religiöse Zentrum der Jesiden, ebenfalls unweit von der Metropole.

Die Millionens­tadt liegt aber auch am Rande der »umstritten­en Gebiete«, die seit der völkerrech­tswidrigen US-geführten Invasion in Irak 2003 von den nordirakis­chen Kurden beanspruch­t wird. Sie regieren von Erbil aus bereits drei nordirakis­che Provinzen. Bagdad besteht auf dem Verbleib der Stadt unter staatliche­r irakischer Kontrolle; doch vieles deutet daraufhin, dass die USA und westliche Unterstütz­er der nordirakis­chen Kurden – auch Deutschlan­d – den »Anti-IS-Kampf« um Mossul dazu nutzen, die Machtverhä­ltnisse in Irak neu zu gestalten. Damit verbunden ist eine Aufteilung des Landes entlang religiöser und ethnischer Trennlinie­n. Das so entstehend­e neue Gebilde wird auch gern als »Föderation« bezeichnet.

Die IS-Kämpfer könnten sich derweil ungehinder­t aus Mossul zurückzieh­en, wie es bereits in den nordsyrisc­hen Städten Manbij, Jaraboulus und zuletzt Dabik geschehen ist. Der russische Nachrichte­nsender »Russia Today« berichtete unter Berufung auf eine anonyme Quelle des Moskauer Militärs, dass die USA und Saudi-Arabien angeblich Tausenden IS-Kämpfern freies Geleit nach Syrien zugesagt hätten – unter Kontrolle des saudischen Geheimdien­stes. Sollte das zutreffen, wäre der Einzug der irakischen Armee und kurdischer Peschmerga nach Mossul sogar ohne großes Blutvergie­ßen möglich. Dann allerdings könnte um die Kontrolle von Mossul ein neuer Kampf beginnen.

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Foto: AFP/Ahmad al-Rubaye Irakische Truppen auf dem Weg nach Mossul

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