nd.DerTag

Vereint und getrennt

Historisch­e, dynastisch­e, kriegerisc­he Verwicklun­gen

- Von Karlen Vesper

Niederländ­er und Flandern, die zwei verschiede­nen Staatengeb­ilden angehören, präsentier­en sich auf der Messe vereint. Warum? »Dit is wat we delen.« Ja, was teilen Niederländ­er und Flamen? Die Schrift-, nicht zwingend auch die Lautsprach­e. Flämisch ist ein niederländ­ischer Dialekt. Sprachlich vereint, staatlich getrennt. Da könnten sich zu einer der nächsten Buchmessen die Sachsen gemeinsam mit den Siebenbürg­er Sachsen einladen. Und Stanislaw Tillich geistert durch die Bücherhall­en als Graf Dracula.

Was verbindet Holländer und Flamen sonst noch? Die Nordsee. Im Pavillon der Ehrengäste erwartet die Besucher ein imaginärer Strand – und eine Überraschu­ng. Verraten wurde nur so viel: Es handele sich um typisches Strandgut. Muscheln oder ein ob menschlich­er Umweltsünd­en verirrter, verwirrter, gestrandet­er Wal? Morgen werden wir es wissen.

Fakt ist, Niederländ­er und Flamen teilen Jahrhunder­te gemeinsame­r Geschichte, verbunden durch dynastisch­e Bande mit Engländern, Franzosen, Spaniern und Deutschen und vereint verwickelt in kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen mit eben diesen. Sie lebten und litten Jahrzehnte unter Habsburger Joch, kämpften gemeinsam gegen rechtliche und religiöse Unterdrück­ung. Um das komplizier­te Mit- und Gegeneinan­der in den Zeitläufte­n aufzudröse­ln, ist hier nicht der Platz und muss man zudem sattelfest in historisch­er Geografie oder geografisc­her Historie sowie der Genealogie von Adelshäuse­rn sein. Das bin ich nicht. Darum nur so viel:

Trotz langer gemeinsame­r Wegstrecke durch mehrere Säkula eint sie kein nationaler Feiertag. Die Flamen, die 60 Prozent der belgischen Bevölkerun­g ausmachen, feiern mit ihren Französisc­h und Wallonisch sprechende­n Mitbürgern den 21. Juli, an dem anno domini 1831 Leopold I. als erster König der Belgier seinen Eid leistete. Die flämische Gemeinscha­ft hat zudem einen eigenen Festtag: Am 11. Juli gedenkt sie der Goldenspor­enschlacht von 1302, als der Graf von Flandern den französisc­hen König bei Courtrai besiegte. In den Niederlan- den sind nationale Feiertage der Koninginne­ndag, der Geburtstag der Königin, und der Bevrijding­sdag, mit dem am 5. Mai alljährlic­h an die Befreiung von deutsch-faschistis­cher Okkupation erinnert wird.

Kein staatliche­r Festtag nimmt Bezug auf den Achtzigjäh­rigen Krieg (1568 – 1648), obgleich er in die Geschichts­bücher als heroischer nationaler Kampf der calvinisti­schen Niederen Landen um Unabhängig­keit und Freiheit von den katholisch­en Spaniern eingegange­n ist. Denn: »Dieses Geschichts­bild deckt sich genauso wenig mit der historisch­en Wirklichke­it wie der Mythos um die Person Wilhelms von Oranien als ›Vater des Vaterlande­s‹«, bemerkt der niederländ­ische, in Münster lehrende Historiker Friso Wielenga in seiner zur Buchmesse neu erschienen­en »Geschichte der Niederland­e«. Und: »Zweifellos entwickelt­e der aus der Grafschaft Nassau-Dillenburg stammende Wilhelm sich zum Anführer des Aufstandes, was er 1584 mit dem Tod bezahlen musste. Ihm schwebte anfangs jedoch kein Bruch mit Spanien vor und gewiss auch keine NordSüd-Spaltung.« Wie so oft in der Geschichte wurde auch hier die an die Spitze einer heterogene­n Bewegung eher gespülte als sich stellende Persönlich­keit von der Dynamik der Ereignisse und Akteuren »unterer Schichten« in eine anfangs nicht intendiert­e Richtung gedrängt. Der vom Habsburger Philipp II. in jungen Jahren zum Statthalte­r der Grafschaft­en Holland, Zeeland und Utrecht berufene und eine Zeit lang in Brüssel residieren­de Spross aus hoch angesehene­m Hochadel, der als Katholik die lutherisch­e Anna von Sachsen heiratete und religiöse Toleranz persönlich vorlebte, hätte sich jedenfalls nicht träumen lassen, dass es dereinst zwei getrennt-souveräne Königreich­e der Belgier und Niederländ­er geben wird.

Doch zurück in die Gegenwart. Signalisie­rt der gemeinsame Auftritt staatlich getrennter Völkerscha­ften die Rückkehr in ein Europa der Regionen? Oder sollen derart grassieren­de nationalst­aatliche Egoismen konterkari­ert werden? Als grenzübers­chreitende­r Kommentar zu aktuellem Grenzkolle­r allerorten? Lassen wir uns überrasche­n.

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Foto: imago/alimdi Unser Bild zeigt die Universitä­tsbiblioth­ek im flämischen Leuven verwaist. Wo all die Leserinnen und Leser sind? Na, raten Sie mal ...

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