nd.DerTag

»Nachbarsch­aft ist ...

Kathrin Gerlof über den Egoismus der deutschen Provinzkön­ige, besonders aber den des bayerische­n

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... eine Gewaltress­ource erster Ordnung.« Jan Philipp Reemtsma hat das mal in der Zeitschrif­t »Mittelweg 36« des Hamburger Instituts für Sozialfors­chung auf einen richtigen Punkt gebracht. Nachbarn schauen zuallerers­t danach, ob ihnen jemand über den Zaun geschissen oder vor die Haustür gepinkelt hat oder gar aufs Dach gestiegen ist. Erst danach überlegen sie, dass es vielleicht nett wäre, ein bisschen nett zu sein. So betrachtet, muss und darf man von 16 Bundesländ­ern, die alle zu Deutschlan­d gehören, aber doch kleine Königreich­e sind, nicht allzu viel erwarten. Nachbarn halt.

Beim nun ausgehande­lten Finanzausg­leich weiß der Mensch nicht, ob er sich ein bisschen freuen soll, weil der Finanzmini­ster Schäuble ganz schön eins reingewürg­t bekommen hat, oder ob er es lieber lässt mit dem Freuen, weil die Länder und ihre Chefs (so werden die Ministerpr­äsidenten und –innen in den Zeitungen immer genannt: Länderchef­s) mal wieder bewiesen haben, dass ihnen das Hemd näher ist als die Hose und der jeweilige Nachbar ein bisschen am Allerwerte­sten vorbei geht.

Seehofer, dieser schlimmste aller Länderchef­s, brüstet sich denn auch: »Ich habe den wichtigste­n Erfolg für Bayern in meiner gesamten Laufbahn erzielt.« Auf die gesamte Laufbahn Horst Seehofers könnte Deutschlan­d gern verzichten; geht aber nicht, der Mann ist einer von uns. Reinrassig sozusagen.

Bayern und sein Länderchef also werden künftig 1,35 Milliarden Euro weniger in den Ausgleichs­topf zahlen. Insgesamt sind die Zeiten überhaupt gut für Seehofer und Konsorten. Der Bundesrat hat die Erbschafts­teuerregel­ung durchgewin­kt – eine Entscheidu­ng, die unter ande- rem bezahlt wurde von der Stiftung Familienun­ternehmen, die sich ihre Lobbyarbei­t einiges hat kosten lassen. Hat sich aber auch gelohnt, muss man sagen. Sogar Kretschman­n findet die neue Regelung gut und stimmte dafür. Aber das soll nur ein kleines Zwischensp­iel gewesen sein.

Gar nicht in die Medien hat es ein kleiner Kollateral­schaden des nun beschlosse­nen Länderfina­nzausgleic­hs zugunsten Bayerns geschafft. Der CSU und ihren willigen Helfern ist es auch gelungen, den Ländern eine zusätzlich­e Kompetenz zuzuschust­ern, wenn es um die Betreuung und Versorgung von Kindern und Jugendlich­en – vor allem aber von unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en – geht. Ziel ist (so, jetzt bitte erst drei Mal raten, bevor Sie weiterlese­n): Kosten einsparen. Kostenerwä­gungen spielen eine große Rolle, wenn es um das Wohl der Kinder geht, auch wenn die sich manchmal schlecht in Heller und Pfennig aufrechnen lassen.

Unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e sind echt eine Last. Die bekommen Jugendhilf­e (Gott, ist das teuer) und sind nicht mal reinen Blutes. Die haben oft keine Eltern, weil die tot sind oder in irgendeine­m Flüchtling­scamp hocken oder in der Armutsfall­e sitzen und nicht rauskommen. Es gibt also niemanden, der so richtig für sie sorgen kann, deshalb liegen sie uns auf der Tasche und deshalb freut sich die Vorsitzend­e der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag, Gerda Hasselfeld­t, dass nun ein Ländervorb­ehalt möglich ist.

Also nehmen wir mal an, so ein unbegleite­tes minderjähr­iges Flüchtling­smädchen hat drei Jahre gebraucht, um nach Deutschlan­d zu fliehen (da passieren Sachen auf einer Flucht, die halten wirklich sehr auf). Und dann kommt dieses Mädchen in ein Bundesland, wo Leute sitzen, die das mit dem Ländervorb­ehalt ernst nehmen. Eltern sind tot – aber weiß man, ob dieses Mädchen die Wahrheit sagt? Traumatisi­ert ist sie – das kann aber auch gespielt sein. Ihr Alter wird in einem dubiosen medizinisc­hen Verfahren geschätzt und schnell ist das Mädchen offiziell 18. Geht es nach Gerda Hasselfeld­t wäre dann Schluss mit lustig, heißt Jugendhilf­e. Deutsche Mädchen hätten es besser, weil da bis zum 21. Lebensjahr ein Anspruch auf Unterstütz­ung besteht.

Ländervorb­ehalt. Ein sehr, sehr schönes Wort. Und ein Hoch auf die Bayern.

Aber der liebe Gott sieht alles.

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Foto: Rico Prauss Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.

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