Vom Selbstmörder überrumpelt
Sachsens Justizminister beklagt perfide Terroristenstrategien und erntet Spott
Über den Selbstmord des mutmaßlichen Terroristen Al-Bakr in Leipzig ist eine politische Debatte entbrannt, die nach Schuldigen sucht und doch nur wieder bekannte Rechtfertigungen bietet. Am Ende kommt noch jemand auf die Idee zu fragen, ob die sächsische Justiz nicht Beihilfe zum Suizid geleistet habe, als Vollzugsbeamte dem mutmaßlichen Terroristen Dschaber alBakr seine Anstaltskleidung übergaben. Bekanntlich nahm er sich mit dem in Streifen gerissenen T-Shirt dann am letzten Mittwoch das Leben. Seitdem prasselt die Kritik endlos auf die sächsischen Behörden herab. Es scheint nur eine Frage der Zeit, wann Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) seinen Hut nehmen muss. Bei der sonntagabendlichen Talkshow von Anne Will in der ARD machte diese schon mal den Versuch, den Mann verbal ein wenig ins Straucheln zu bringen. Und es gelang ihr.
Minister Gemkow macht einfach keine gute Figur, wenn er in der Rückschau auf die vier Tage, die zwischen dem Sprengstofffund in einer Chemnitzer Wohnung und dem Suizid des Sprengstoffbesitzers in einem Leipziger Gefängnis liegen, allenfalls ein wenig Naivität der Behörden zu erkennen vermag. Man sei zu wenig auf die Perfidie des Terrorismus eingestellt gewesen, lautete letztlich das Resümee des Ministers. Und in den Selbstmord des Selbstmordattentäters deutelt Gemkow sogar einen Teil der sächsischen Rechtfertigung hinein, wenn er meint, Islamisten planten eine solche Tat wohl sogar gezielt, nur um dem westlichen Rechtssystem zu schaden. So jedenfalls spekulierte er in der »Bild am Sonntag« . »Auf diesen Fall waren wir in Sachsen nicht ausreichend vorbereitet.«
Damit wird er seine Landesbehörden freilich kaum reinwaschen. Und die Behauptung, aus rechtlichen Gründen sei eine strengere Beobachtung Al-Bakrs ausgeschlossen gewesen, nachdem eine Ärztin die Suizidgefahr verneint hatte, wirkt nicht überzeugend, weil zwischen der Verbannung in eine unwirtliche Gummizelle, die der Minister da beschrieb und einer Beobachtung bei geöffneter Zellentür (aber geschlossener Sicherheitstür) ganze Justizvollzugswelten liegen. Wolfgang Kubicki jedenfalls kennt gegenüber Gemkow kein Erbarmen: »Das hat funktioniert! Die sächsischen Behörden sind diskreditiert.« Zu erklären, das könnte der Plan des Syrers gewesen sein, sei absurd, »wenn man selbst nicht verhindert, dass er umgesetzt werden kann«.
Kubicki, Vizevorsitzender der Liberalen, goss am Montagmorgen seine Verachtung für die sächsische Justiz in großen Kübeln aus und teilte den Hörern des Deutschlandfunks mit, dass er Gemkow raten würde, möglichst schnell zurückzutreten, »statt weiter solchen Unsinn zu erzählen«. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), steht Kubicki allenfalls in der Wortwahl nach, wenn sie den Lesern der Funke-Mediengruppe mitteilte, in Deutschland gebe es offenbar Regionen, die den Herausforderungen des Terrorismus nicht gewachsen seien. Und auch die engagierte Zivilgesellschaft, die für den 24. Oktober zu einer »druckvollen« Demonstration nach Leipzig ruft, um die »Regierungsunfähigkeit der CDU-geführten Landesregierung« anzuprangern, sieht offenbar ein vor allem landespolitisches Problem.
Am Problem ist nicht zu zweifeln. Der in Chemnitz zunächst entwischte FDP-Vize Wolfgang Kubicki Syrer, das Zögern der Polizei, die Syrer ernstzunehmen, die Al-Bakr festgesetzt hatten und schließlich die Vollendung der Fehlerserie durch Suizid des Delinquenten – die sächsischen Behörden liefern ein weiteres Mal Gründe, ihrer professionellen Ernsthaftigkeit zu misstrauen.
Und doch: Müsste der kollektive Zeigefinger nicht auch nach Karlsruhe weisen? Bereits am Tag nach der Hausdurchsuchung in Chemnitz zog die Generalbundesanwaltschaft wegen der Brisanz der gefundenen Beweismittel, sprich ihrer Sprengkraft, den Fall an sich. Bei Terrorismus gerät der Fall in ihre Zuständigkeit.
Seitdem waren allerdings keine Aktivitäten zu registrieren. Während Elitepolizisten der GSG 9 in Leipziger Wohnungen alles auf den Kopf stellten, um zwei tunesischen Terrorverdächtigen auf die Schliche zu kommen, ohne dass etwas Belastendes gefunden wurde, blieb der Fall, der das ganze Land seit Tagen beschäftigte, zunächst ohne erkennbare Aufmerksamkeit. Auch einen Haftbefehl des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe zu erstellen, der den vorhandenen eines Amtsgerichts ersetzen musste, ließ man sich Zeit. CDUInnenexperte Armin Schuster kritisierte in der ZDF-Sendung »Berlin direkt« daraufhin, man müsse als Generalbundesanwaltschaft das »Zepter in die Hand nehmen«. Und die rechtspolitische Sprecherin der Union im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker, kritisierte, der Generalbundesanwalt habe sich zu spät eingeschaltet.
Selbst wenn hier parteipolitischer Schutzinstinkt für die sächsische Landesregierung durchschimmert – im nächsten Atemzug wurde bereits Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) ins Spiel gebracht, der den Generalbundesanwalt zu berufen hat; – von der Hand zu weisen ist die Kritik nicht. Zugleich unterstellt alle Kritik, an wem auch immer, dass ein lebender Dschaber al-Bakr über seine Auftraggeber und Mittelsmänner hätte plaudern können. Dies ist aber längst nicht sicher. Der Suizid des Delinquenten lässt eher vermuten, dass es mit Al-Bakrs Kooperationsbereitschaft nicht weit her war.
»Das hat funktioniert! Die sächsischen Behörden sind diskreditiert.«