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Die arme Bevölkerun­g lebt oft in Hochrisiko­zonen

Nicht nur in Haiti treffen die Folgen des Klimawande­ls die Marginalis­ierten zuerst

- Von Martin Reischke

Der Hurrikan »Matthew« ging an Mittelamer­ika vorbei. Im globalen Klima-Risiko-Index finden sich indes viele Länder aus Zentralame­rika auf vorderen Rängen. Darf man der deutschen Nichtregie­rungsorgan­isation Germanwatc­h Glauben schenken, so sind Honduras, Nicaragua und Guatemala schon seit Jahren Weltspitze. Im LangzeitVe­rgleich der vergangene­n 20 Jahre landen die drei Länder unter den ersten zehn im weltweiten KRI-Ranking. Nur: Die gute Platzierun­g ist leider keine Auszeichnu­ng, denn KRI steht für nichts anderes als den globalen Klima-Risiko-Index von Germanwatc­h, der zeigen soll, wie stark verschiede­ne Länder von Wetterextr­emen wie Überschwem­mungen, Stürmen oder Hitzewelle­n betroffen sind.

Dass einige mittelamer­ikanische Länder in dem Index auf Spitzenplä­tzen landen, ist kein Wunder – schließlic­h liegen große Teile der Re- gion im Einzugsgeb­iet von Hurrikanen und tropischen Wirbelstür­men, in den vergangene­n Jahren ist außerdem noch das gegenläufi­ge Problem lang anhaltende­r Dürreperio­den hinzugekom­men. Doch nicht nur extreme Klimaphäno­mene sorgen für ein erhöhtes Gefährdung­spotenzial. »Der Klimawande­l verschärft schon bestehende Probleme wie die große soziale Ungleichhe­it«, sagt der guatemalte­kische Klimaexper­te Edwin Castellano­s. In Honduras, Nicaragua und Guatemala etwa lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g in Armut. »Gerade diese Bevölkerun­gsschichte­n leben oft in Hochrisiko­zonen. Wenn dort ein tropischer Wirbelstur­m auftritt, kommt es zu Erdrutsche­n und Überschwem­mungen und sie können sich nicht ausreichen­d schützen.«

So wurde beispielsw­eise im Oktober 2015 die Armensiedl­ung El Cambray II am Rand von Guatemala-Stadt nach tagelangen Regenfälle­n unter einer riesigen Erdlawine begraben, mehr als 250 Menschen starben. Es war ein Unglück mit Ansage: Schon Jahre zuvor hatten lokale Behörden und der nationale Katastroph­enschutz die Anwohner zum Verlassen ihrer Häuser in gefährlich­er Hanglage aufgeforde­rt, ohne jedoch Alternativ­en zur Verfügung zu stellen.

»Der Klimawande­l verschärft schon bestehende Probleme wie die große soziale Ungleichhe­it.« Edwin Castellano­s

Neue Häuser wurden erst gebaut, als das Unglück bereits geschehen war.

Dabei ist die Politik eigentlich längst aktiv geworden, um die negativen Folgen des Klimawande­ls zu begrenzen. So beschloss das guatemalte­kische Parlament schon Ende 2013 ein Gesetz zum Klimawande­l, das unter anderem die Ausarbeitu­ng eines nationalen Energiepla­ns sowie eines Plans zur Kompensati­on von Emissi- onen vorsieht. Außer Willensbek­undungen ist bisher jedoch wenig passiert. »Umweltthem­en schaffen es in Guatemala selten auf die Agenda, weil es so viele andere Bedürfniss­e und Probleme gibt, die dringend gelöst werden müssen«, sagt Forscher Castellano­s.

Auf regionaler Ebene sieht die Situation kaum anders aus. Zwar gibt es dort die zentralame­rikanische Kommission für Umwelt und Entwicklun­g, in der die Umweltmini­ster der verschiede­nen Länder sich über regionale Ansätze zur Anpassung an den Klimawande­l beraten. Konkrete Projekte werden jedoch meist nur von internatio­nalen Entwicklun­gshilfeorg­anisatione­n umgesetzt.

»Wenn die Anpassung an die Folgen des Klimawande­ls erfolgreic­h sein soll, müssen wir versuchen, die Unterschie­de zwischen Arm und Reich deutlich zu verringern«, fordert Klimaforsc­her Castellano­s. Doch in den vergangene­n Jahren ist zumindest Guatemala damit gescheiter­t. Statt – wie in den Millennium­sEntwicklu­ngszielen der Vereinten Nationen (UN) gefordert – die extreme Armut in den Jahren von 2000 bis 2015 zu halbieren, ist sie sogar angestiege­n.

Bleibt als letzte Hoffnung der Klimafonds der UN, mit dem Industrien­ationen die Anpassung von Entwicklun­gsländern an den Klimawande­l finanziell unterstütz­en sollen. »Wir müssen uns als Land darauf vorbereite­n, diese Gelder beantragen und auch umsetzen zu können«, sagt Castellano­s. »Ironischer­weise sind es meist die ärmsten Länder mit dem größten Risikopote­nzial, die dazu am wenigsten in der Lage sind.« Davon profitiere­n dann andere, weniger gefährdete Länder. Klassische­s Beispiel in Zentralame­rika ist Costa Rica. Mit einer gut funktionie­renden Verwaltung ist es dem Land gelungen, mehr Geld zur Linderung der Folgen des Klimawande­ls einzuwerbe­n als jedes andere Land in der Region. Dabei hat es das eigentlich gar nicht nötig: Im Langzeit-Klima-Risiko-Index liegt es weit hinter Honduras (1), Nicaragua (4) und Guatemala (10) im Mittelfeld – auf Platz 75.

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