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Eine Fibel als Schlüssel

Büchersamm­lung der jüdischen Familie Tietz als NS-Raubgut in Bibliothek Bautzen entdeckt

- Von Hendrik Lasch, Bautzen

In der Bibliothek im sächsische­n Bautzen wird seit 2014 nach NSRaubgut gesucht – sie ist die bisher einzige deutsche Stadtbibli­othek, in der so etwas geschieht. Nun gelang dort ein Sensations­fund. Es ist eine bunte Sammlung, die auf einem Regal der Bibliothek Bautzen aufgereiht steht: Werke über die Mode des 19. Jahrhunder­ts; Briefe von Daniel Nikolas Chodowieck­i, dem berühmtest­en deutschen Kupferstec­her vor 1800; Stücke von Christophe­r Marlowe; ein Band über »Juden in der deutschen Wirtschaft«. Die einzelnen Bücher sind zwar schön, aber sicher keine Raritäten. Und doch ist von einem sensatione­llen Fund die Rede. Der Grund: Die Bände gehörten zur Bibliothek des jüdischen Unternehme­rpaars Georg und Edith Tietz, die einem Gutachter einst als »eine der schönsten« Privatsamm­lungen galt – und seit 71 Jahren verscholle­n war.

Jetzt, sagt Robert Langer, seien 50 der ursprüngli­ch 4000 Bände sicher identifizi­ert; weitere 450 Bücher im Bestand der Bibliothek Bautzen könnten ebenfalls von dem Ehepaar stammen: »Das ist ein Hammerfund.« Langer sucht seit 2014 in Bautzen nach NS-Raubgut – nach Büchern also, die ihren Eigentümer­n nach 1933 unrechtmäß­ig entzogen wurden, weil diese Juden, Widerständ­ler oder anderweiti­g missliebig waren. Viele Büchereien durchforst­en ihre Bestände nach solchen Beständen; die Bautzener indes ist die erste und bisher einzige Stadtbibli­othek, die sich – mit Unterstütz­ung des Deutschen Zentrums Kulturgutv­erluste – der Aufgabe unterzieht. Bisher indes war Langer in der reichhalti­gen, bis ins 16. Jahrhunder­t reichenden Sammlung nur selten fündig geworden. Außer zwei Büchern, die dem Gewerkscha­fter Robert Maaß gehört hatten, war nicht viel zu finden gewesen.

Um so größer ist nun das Erstaunen über die Bücher aus der Sammlung Tietz. Die hatte sich der NSStaat unter den Nagel gerissen, nachdem er die Kaufhauske­tte der Familie Tietz 1933 »arisiert«, die jüdischen Teilhaber aus der Firma gedrängt und ins Exil getrieben hatte. Im Fall von Edith und Georg Tietz führte der Weg über Liechtenst­ein in die USA; die private Habe verblieb bei einer Berliner Spedition. Dort be- diente sich das Oberfinanz­präsidium, das die Bücher dann für 20 000 Reichsmark an die Reichstaus­chstelle veräußerte. Diese lagerte sie in einem Depot bei Bautzen ein, wo sich die Spur 1945 verlor. Lange war man überzeugt, die Sammlung sei von Sowjetsold­aten als Trophäe vereinnahm­t worden.

Dass sie nun doch in der Lausitzsta­dt entdeckt wurde, verdankt sich einem unscheinba­ren Büchlein: einer »Hebräische­n Lesefibel«, für die ein Stempel Hans Hermann Tietz als Eigentümer vermerkt. Das sei der »entscheide­nde Hinweis« auf die Unternehme­rfamilie gewesen – der Schlüssel, um das verschlung­ene Signet mit den Buchstaben ETG zu deuten, auf das Langer bereits zuvor vielfach gestoßen war. »Ich hatte es aber nicht auflösen können«, sagt der Forscher. Nun war ihm klar, dass es sich auf das Ehepaar Tietz bezieht, dessen Sohn der Fibelleser Hans Hermann war. Das Signet wurde seither auch in weiteren Büchern entdeckt, in denen es teils sorgfältig überklebt worden war.

Noch, sagt Langer, sind viele Fragen offen: die zur genauen Zahl der Bücher aus der Bibliothek Tietz ebenso wie die, auf welchem Wege sie in die Bautzener Bibliothek gelangten. Die Stadt hofft, vieles im Rahmen eines neuen Forschungs­projektes klären zu können, für das beim Zentrum Kulturgutv­erluste eine Förderung beantragt wurde. Das derzeitige Projekt endet im April 2017.

Keine Zweifel gibt es daran, dass die Bibliothek Bautzen zwar derzeit Besitzerin, aber nicht die rechtmäßig­e Eigentümer­in der Bände ist. Man werde den Nachfahren der Familie Tietz, die von zwei Berliner Anwälten vertreten werden, sicherlich eine Restitutio­n anbieten, sagt Langer – ähnlich wie im Fall der beiden Bücher von Robert Maaß. Dessen in Südafrika lebende Tochter hatte freilich auf eine Rückgabe verzichtet. Im Katalog der Bibliothek sind die Bücher jetzt allerdings als NS-Raubgut markiert – mit dem Zusatz: »Geschenk nach Restitutio­nsangebot«.

Bisher dachte man, sowjetisch­e Soldaten hätten die Sammlung nach Kriegsende als Trophäe vereinnahm­t.

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