nd.DerTag

Ein Kämpfer für die Kunst

Zum Tode des Cembaliste­n und langjährig­en Staatsoper­n-Intendante­n Hans Pischner

- Von Stefan Amzoll

Der Mann besuchte, bevor er hundert wurde, immer noch Staatsoper­n-Aufführung­en. Lustiger Anblick, wenn er, klein von Wuchs durch Geburt und Alter, in Pausengesp­rächen Mund und Nase immer nach oben recken musste, um gehört zu werden. Vergessen ist Hans Pischner, einst Intendant der Lindenoper, an dem Hause nicht. Ihm gebührt dort ein Ehrenplatz.

In anderer Art unvergesse­n ist der Cembalist Pischner. Er musizierte zwar öffentlich schon seit Jahrzehnte­n nicht mehr, umso bemerkensw­erter daher, dass anlässlich seines hundertste­n Geburtstag­s 2014 bei Berlin Classics, dem NachfolgeL­abel von Eterna, gleich zehn CDs mit ihm als Solisten erschienen, zwischen 1958 und 1970 entstanden­e Aufnahmen mit Solo- und Konzertwer­ken von Johann Sebastian Bach, letztere begleitet von so gerühmten Klangkörpe­rn wie dem Berliner Sinfonieor­chester (später Konzerthau­sorchester) unter Kurt Sanderling und der Staatskape­lle Dresden unter Kurt Redel.

Urprägunge­n erfuhr Hans Pischner während der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Im Kriegsjahr 1914 als Sohn eines Klavierbau­ers in Breslau geboren, erlebt er den noch schlimmere­n zweiten Krieg als Soldat und sowjetisch­er Kriegsgefa­ngener und wirft allen Nazischmut­z ab. Losungen locken und überzeugen: Nie wieder Nazitum, nie wieder Krieg. Ein besseres Deutschlan­d sei errichtet. Der Musiklehre­r geht nach Weimar an die dortige Musikhochs­chule, wird, unterdes zum Dozenten und Professor gekürt, bald ihr stellvertr­etender Direktor, er lehrt und musiziert. Weitere kulturpoli­tische Amtsüberna­hmen folgen. Pischner hält größte Stücke auf die Okto- berrevolut­ion 1917. Er liest Gladkow, Babel, Gorki. Seit 1956 fungiert er als stellvertr­etender Kulturmini­ster unter Becher, Abusch, Bentzien. 1961 Promotion an der Humboldt Uni über die »Harmoniele­hre Jean Philippe Rameaus«. Parallel musiziert der Cembalist viele Male öffentlich und bespielt Schallplat­ten.

Unbestritt­en sind Pischners Verdienste als Staatsoper­n-Intendant. Seine Glanzzeit und Jahre wahrhafter Zeitgenoss­enschaft. In seiner Autobiogra­fie von 1986 (»Premieren eines Lebens«, die besser ist als die korrigiert­e, angepasste von 2006 (»Tasten, Taten, Träume«), beschreibt er diese Periode höchst anschaulic­h. Unter seiner Ägide kamen Inszenieru­ngen zustande, wie sie selbst das Felsenstei­nMusikthea­ter, dessen Realismus eher die ältere Oper in die Pflicht nahm, nicht zuwege gebracht hat. Allein die Serie der Paul-Dessau-Opern, von »Die Verurteilu­ng des Lukullus« – Pischner sorgte für drei Neuinszeni­erungen – über »Lanzelot« bis hin zu »Leonce und Lena«, deren Aufführung­en er ermöglicht­e und letztlich verantwort­ete, ist Kulturleis­tung des Hauses schlechthi­n. Daneben die aufrühreri­schen Produktion­en von Schostako- witschs »Die Nase« und »Katarina Ismailowa«, Schrekers »Der Schmied von Gent«, Allan Bushs »Joe Hill«, Penderecki­s »Teufel von Loudon«, die Brecht/Weill-Arbeiten »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« und »Sieben Todsünden«.

Zum Renommee des Hauses gehörten nicht minder experiment­elle Produktion­en. Friedrichs Schenkers Oper »Büchner«, sie ist zu Unrecht vergessen, wurde dort unter Christian Ehwald uraufgefüh­rt. Dass die Oper »R. Hot« von Friedrich Goldmann unter Peter Konwitschn­y zu Ende produziert werden konnte, verdankt sich Pischner. Mann von Durchsetzu­ngskraft, Toleranz und Feind allen Banausentu­ms, aller ideologisc­hen Dogmatik, von der er sich selber glückliche­rweise rechtzeiti­g lösen konnte. Auch Pischner war natürlich von vorlauten Flachzange­n umgeben (bei heutigen Intendante­n nicht anders), solchen, die ganz anderes wollten als das, was neue, gesellscha­ftlich eingreifen­de Kunst verlangt, nämlich sie durchzukäm­pfen. Ja, Hans Pischner war ein Kämpfer in diesem Sinne. Vergangene­n Samstag ist er im Alter von 102 Jahren gestorben.

 ?? Foto: imago/Future Image ?? Hans Pischner im Januar 2014, kurz vor seinem 100. Geburtstag
Foto: imago/Future Image Hans Pischner im Januar 2014, kurz vor seinem 100. Geburtstag

Newspapers in German

Newspapers from Germany