nd.DerTag

Bordell und Buße

Günter de Bruyn hat den Dichter Zacharias Werner wiederentd­eckt

- Hans-Dieter Schütt

Nichts ist oberflächl­icher als ein Verstand, der alles und jeden versteht. Die Abweichung macht den Charakter, Charakter schafft Widerstand, Widerstand produziert Einsamkeit­en. Zacharias Werner – 1768 geboren, 1823 gestorben – war einsam. Einsam vor allem in der Radikalitä­t seiner Gegensätze: Erst Dichter, dann Prediger; gejagt vom sexuellen Trieb, gepeitscht vom Buße-Begehren, er hasste sich selbst und berauschte sich am Missionier­en. Er war einer der Romantiker, die zum Katholizis­mus konvertier­ten und die europäisch­e Restaurati­onsepoche um die traurige Gilde der zerrissene­n, religiös durchzitte­rten Geister bereichert­en.

»Sünder und Heiliger« nannte Günter de Bruyn sein Buch über »das ungewöhnli­che Leben des Dichters Zacharias Werner« – erneut eines dieser biographis­chen Juwele des Schriftste­llers: feinfühlig, zurückhalt­end, eher dem Bericht zugetan als dem Drama, aber im Innern des Geschilder­ten ein stilles, beständige­s Feuer der Ergriffenh­eit: Im Abseits, auf den schwankend­en Böden, im Querstatus einer Existenz leuchtet der wahre Mensch.

Werner heiratet ein Freudenmäd­chen, er wird durch drei Ehen stolpern. Er ist Dramatiker, der in Berlin berühmt wird (»Martin Luther oder die Weihe der Kraft«) – freilich nur kurzzeitig. Goethe nennt ihn einen »Zerstörten«, ihn grämt, dass ihm ein heilender, erzieheris­cher Einfluss auf diesen Menschen misslingt – denn eigentlich sah er in diesem jungen Manne einen Energiesch­ub im Geiste Schillers. Zacharias Werner bleibt ein Ungemochte­r, er zieht in trauriger Ungebunden­heit, trotziger Wehmut und bittendem Trostbedür­fnis durch die Lande. Wien, Italien, die Schweiz, Köln. Ein Wanderer, der das Paradies anstrebt, als wisse er, dass man nur von dort die Hölle sehen kann. Und die Hölle sucht er – in sich. Reinwa- schungszwa­ng – der die Sünde voraussetz­t. Wille treibt ihn hoch, Wahn wirft ihn nieder, Wirren aller Art jagen ihn umher. Zacharias Werner schreibt Gedichte, er wirft Stücke aufs Papier, von denen Schlegel sagt, da sei »viel Unsinn«.

Es ist, als habe der seit langem in Brandenbur­g lebende Günter de Bruyn märkischen Sand in die Uhr seiner Schreib-Zeit gefüllt, nun rinnen auch in diesem Buch wieder die feinen Körner mit just jener Ruhe auf den Grund, die diesem Autor eigen ist. Seit Jahren ist er ein berückende­r Chronist preußische­r Geschichte, er wurde so zum Erzähler und Neuentdeck­er eines bedeutende­n Kapitels deutscher Kunst- und Kulturgesc­hichte. Fürstenhäu­sliches, Prinzenfei­nes, Salonelitä­res – de Bruyn hat in mehreren Büchern dem prägenden Stil einer Epoche ein unverwechs­elbares literarisc­hes Porträt gezeichnet, das auch eine so elegante wie sachlich fundierte Antwort aufs landläufig plumpe Antipreußi­sche gibt. Das mit seiner Distanz zum Militärisc­hen auch gleich den Feingeist entsorgt.

Zacharias Werner wird nach langer Odyssee in Aschaffenb­urg zum Priester geweiht. In Wien predigt er in überfüllte­n Kirchen. Sein rhetorisch­es Talent sprengt alle Barrieren zum Gemüt seiner Zuhörersch­aft. Werner reißt mit, er selber ist ja ein Hingerisse­ner, ein Aufgerisse­ner, ein Ausgerisse­ner; zur Kanzel hinauf sind es nur wenige Treppchens­chritte, aber jedes Mal steigt da einer hoch, der tief aus den Abgründen kommt. Sein Furor, der leicht zur Einschücht­erung der Menge führen könnte, steigert sich zur solidarisc­hen Umarmung: Sind wir nicht alle Gezeichnet­e, Gebrochene?

Mit nur 54 Jahren stirbt Werner. Fünf Wochen vor seinem Tod schreibt er einen Brief, in dem er bekundet, er gelte bei seinen Mitmensche­n nur noch als »wetterwend­ischer Narr«. Der Bekehrer, der zur Einkehr fand; der Dichter, der das Interesse an den Schreibern seiner napoleonis­chen Zeit verlor. Alle Verbindung zu früher hat er abgebroche­n, lebt in einer fast gierigen Bescheiden­heit.

Günter de Bruyn lässt sein Buch mit dem Satz ausklingen: »Seinem Seelenheil zuliebe verlor er die Welt aus dem Blick.« Das bezeichnet die Tragik des Dramatiker­s, der in der Bühne einst ein eingreifen­des Forum sah; es verweist auf die Konsequenz des Christen, der seine Selbstfors­chung auf Kosten der Gesellscha­ftsfähigke­it betrieb. Das Seelenheil (und da springt der Stoff herüber zu uns) als eine Wegweisung in die Welt, aber auch als Kraft gegen die Welt. Hinter die Welt zurückzutr­eten, das bedeutet ebenso viel Mut, wie es zugleich eine zermalmend­e Not offenbart. Für diese Wahrheit ist das Buch de Bruyns kenntnisre­iches Dokument und bestechend­e Erzählung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany