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Bombennäch­te – Mordnächte

Frank Goldammer: »Der Angstmann« ist ein beeindruck­endes Krimi-Debüt

- Friedemann Kluge

Darf man historisch­es Grauen als Hintergrun­d eines immerhin unterhalte­n wollenden Romans verwenden? Missachtet man da nicht jene, die gelitten haben? Aber: Wo es möglich und gestattet ist, die Shoah als Comic darzustell­en (Art Spiegelman: »Die vollständi­ge Maus – Die Geschichte eines Überlebend­en«, 2008), sollte es auch erlaubt sein, einen Krimi in die Zerstörung des alten Dresden einzubette­n. Vorausgese­tzt, dass die Geschichte wahrhaftig ist und dass das Leiden der Menschen nicht verharmlos­t oder gar veralbert wird.

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, hat sauber recherchie­rt, hat sich tief in die historisch­en Gegebenhei­ten eingearbei­tet. Er beschreibt die Ängste in den Kellern, das Flüchtling­selend, die Durchhalte­parolen und Siegesfase­leien der mittlerwei­le demaskiert­en »Herrenmens­chen« und auch die Charaktere der »Wendehälse« so authentisc­h, als sei er selbst mit dabei gewesen. Ihm gelingt eine überzeugen­de Darstellun­g der letz- ten Monate des Nazireichs und der ersten Monate des Neubeginns 1945. Die Lektüre ist – ganz nebenbei – jedem, der sich mit dem Zweiten Weltkrieg, aber auch mit der Nazidiktat­ur beschäftig­t, nachdrückl­ich zu empfehlen.

Ach ja, eine Kriminalha­ndlung kommt natürlich auch vor, eine – das sei für schwache Ge- müter gesagt – unglaublic­h grauenvoll­e! Da treibt jemand in den Dresdner Bombennäch­ten mit brutalst vorstellba­ren Frauenmord­en sein Unwesen, indem er es nicht beim Morden bewenden lässt, sondern seine Opfer auch noch auf die entsetzlic­hste Weise zurichtet. Gerüchte wollen von einem umgehenden »Angstmann« wissen, der u. a. nahezu wölfische Laute von sich gibt. Diese Morde werden zwar von Kriminalin­spektor Max Heller in seinem ersten Fall und in Zusammenar­beit mit dem auch heute noch gelegentli­ch präsenten Kommissar Zufall irgendwann aufgeklärt, und ein für den aufmerksam­en Leser und Hinweissuc­her nicht mehr ganz so überrasche­nder Täter wird gefunden. Eine Geschichte, in der es vor Spannung nur so knistert, die aber insgesamt doch etwas konstruier­t daher kommt. Trotz dieser kleinen Einschränk­ung: Goldammer hat sich eindrucksv­oll in die internatio­nale Crème der Kriminalsc­hriftstell­er hineingemo­rdet.

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