Dunkelheit, Licht, Schatten
Kerstin Preiwuß weiß, seismographisch Stimmungen zu erfassen
Leiden und Leidenschaft, ohne sich dabei mit koketter Verzweiflung aufzuspielen – das schafft diese 1980 im Mecklenburgischen geborene Dichterin. Und dennoch: So viel Schmerz, auch Verlust, und so viel dann doch wieder Aufgehobenes in der Sprache, die – und das wusste schon Montaigne – die Mutter geistiger Kinder ist; die sind den Kindern aus Fleisch und Blut ebenbürtig, können diese nicht kompensieren, aber auch nicht von diesen kompensiert werden. Kerstin Preiwuß drückt dies wie folgt aus: »Höre / alle Welt sagt noch geht der Wind. / Ebenso erhebt er sich. / Er legt sich auch nieder. / Die Sprache bekommt dann ein Kind. / Höre / was ich denke ist ein Weizenfeld / was ich fühle der Wind. / Ich bin ein Weizenfeld / durch das August geht / August und Wind.«
Früh im Gedichtband zeichnen sich dessen große Themen ab: Schwangerschaft, Geburt, Fehlgeburt oder Kindstod, Leben mit Kindern. In einem Gedicht wird das »Walnusskind« angesprochen: »Mein Kind ich weiß nicht wann dein Atem riss. / Ich war vergebens um dich.«
Bisweilen liest sich der Gedichtband wie ein trauriges Kinderbuch. Er führt durch alle Jahreszeiten hindurch, ist in vier Teile gegliedert. Die Stimmung verdüstert sich hin zum Winter. Aber der Traurigkeit und der Trauer prägt sich durchgehend eine kindliche Leichtigkeit ein, die ihren Ausdruck findet in einem exzessiven, aber meisterhaften Umgang mit Assonanzen und reinen wie unreinen Reimen. Die Assonanzreihen und die Reime (ob verschleppte Reime, Binnenreime, Endreime etc.) werden keineswegs forciert eingesetzt, sondern nur dort, wo die Wörter es erlauben, so dass lästige Wortumstellungen, etwa wegen einzuhaltenden Metrums oder Rhythmus’, vermieden werden. Wörter und Redewendungen erhalten neue Bedeutungen, und zwar nicht nur durch die inhaltlichen, sondern auch die klanglichen Kontexte.
Preiwuß’ nicht an Nüchternheit interessierte Gedichte sind wie seismische Wellen, die zwischen Erschöpfung, Glück und Frust alles erfassen, was das Leben mit Kindern an Vitalität freisetzt. Aber sie schreibt vom Tod her, was zu einem seltenen Phänomen in der Literatur geworden ist. Insofern überrascht es nicht, dass das Zentralgedicht des Gedichtbandes ein an Celan erinnerndes ist. »Ich bin immer noch da aber auch von gestern«, heißt es darin.
Dieser Gedichtband? Wie ein Gebäude, dessen Architektur mit Gespür für Dunkelheit, Licht und Schatten entworfen wurde. Das setzt ein Gespür für Witterung und Jahreszeiten voraus.
Seismographisch Stimmungen erfassend. Düster und heiter zugleich. Von (Leer- und Hohl-) Räumen und (Alp-) Träumen, von Glück und Schrecken. Märchenhaft. Manchmal impressionistisch, manchmal surreal. Im
Kerstin Preiwuß: Gespür für Licht. Gedichte. Berlin Verlag. 128 S., geb., 18 €.
Selbstgespräch, das doch immer auch eine Wendung zum anderen bedeutet, zum unbedarften »Däumling«: »Ich habe kein Gespür für mich selbst / aber ein Gespür für Licht.« Auf der Kippe und Klippe zur Selbstaufgabe: »Jeden Tag springe ich / über die Klippe deiner Gegenwart.« Vielleicht geschrieben von einem Fisch, »bleich und blind«: »Er hatte keine Augen aber ein Gespür für Licht.«
Und ständig diese im Buch auf der geraden Zahl freigelassene weiße Seite, vielleicht für weitere Kalender- und Kindergeschichten.