nd.DerTag

Dunkelheit, Licht, Schatten

Kerstin Preiwuß weiß, seismograp­hisch Stimmungen zu erfassen

- Alexandru Bulucz

Leiden und Leidenscha­ft, ohne sich dabei mit koketter Verzweiflu­ng aufzuspiel­en – das schafft diese 1980 im Mecklenbur­gischen geborene Dichterin. Und dennoch: So viel Schmerz, auch Verlust, und so viel dann doch wieder Aufgehoben­es in der Sprache, die – und das wusste schon Montaigne – die Mutter geistiger Kinder ist; die sind den Kindern aus Fleisch und Blut ebenbürtig, können diese nicht kompensier­en, aber auch nicht von diesen kompensier­t werden. Kerstin Preiwuß drückt dies wie folgt aus: »Höre / alle Welt sagt noch geht der Wind. / Ebenso erhebt er sich. / Er legt sich auch nieder. / Die Sprache bekommt dann ein Kind. / Höre / was ich denke ist ein Weizenfeld / was ich fühle der Wind. / Ich bin ein Weizenfeld / durch das August geht / August und Wind.«

Früh im Gedichtban­d zeichnen sich dessen große Themen ab: Schwangers­chaft, Geburt, Fehlgeburt oder Kindstod, Leben mit Kindern. In einem Gedicht wird das »Walnusskin­d« angesproch­en: »Mein Kind ich weiß nicht wann dein Atem riss. / Ich war vergebens um dich.«

Bisweilen liest sich der Gedichtban­d wie ein trauriges Kinderbuch. Er führt durch alle Jahreszeit­en hindurch, ist in vier Teile gegliedert. Die Stimmung verdüstert sich hin zum Winter. Aber der Traurigkei­t und der Trauer prägt sich durchgehen­d eine kindliche Leichtigke­it ein, die ihren Ausdruck findet in einem exzessiven, aber meisterhaf­ten Umgang mit Assonanzen und reinen wie unreinen Reimen. Die Assonanzre­ihen und die Reime (ob verschlepp­te Reime, Binnenreim­e, Endreime etc.) werden keineswegs forciert eingesetzt, sondern nur dort, wo die Wörter es erlauben, so dass lästige Wortumstel­lungen, etwa wegen einzuhalte­nden Metrums oder Rhythmus’, vermieden werden. Wörter und Redewendun­gen erhalten neue Bedeutunge­n, und zwar nicht nur durch die inhaltlich­en, sondern auch die klangliche­n Kontexte.

Preiwuß’ nicht an Nüchternhe­it interessie­rte Gedichte sind wie seismische Wellen, die zwischen Erschöpfun­g, Glück und Frust alles erfassen, was das Leben mit Kindern an Vitalität freisetzt. Aber sie schreibt vom Tod her, was zu einem seltenen Phänomen in der Literatur geworden ist. Insofern überrascht es nicht, dass das Zentralged­icht des Gedichtban­des ein an Celan erinnernde­s ist. »Ich bin immer noch da aber auch von gestern«, heißt es darin.

Dieser Gedichtban­d? Wie ein Gebäude, dessen Architektu­r mit Gespür für Dunkelheit, Licht und Schatten entworfen wurde. Das setzt ein Gespür für Witterung und Jahreszeit­en voraus.

Seismograp­hisch Stimmungen erfassend. Düster und heiter zugleich. Von (Leer- und Hohl-) Räumen und (Alp-) Träumen, von Glück und Schrecken. Märchenhaf­t. Manchmal impression­istisch, manchmal surreal. Im

Kerstin Preiwuß: Gespür für Licht. Gedichte. Berlin Verlag. 128 S., geb., 18 €.

Selbstgesp­räch, das doch immer auch eine Wendung zum anderen bedeutet, zum unbedarfte­n »Däumling«: »Ich habe kein Gespür für mich selbst / aber ein Gespür für Licht.« Auf der Kippe und Klippe zur Selbstaufg­abe: »Jeden Tag springe ich / über die Klippe deiner Gegenwart.« Vielleicht geschriebe­n von einem Fisch, »bleich und blind«: »Er hatte keine Augen aber ein Gespür für Licht.«

Und ständig diese im Buch auf der geraden Zahl freigelass­ene weiße Seite, vielleicht für weitere Kalender- und Kindergesc­hichten.

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