nd.DerTag

Die tollkühne »Garbo der Lüfte«

Fiona Kidman hat einen packenden Roman über die neuseeländ­ische Fliegerin Jean Batten verfasst

- Monika Melchert

Wenn sie in der Luft ist, hoch über der Welt, die immer kleiner wird, trifft sie das Gefühl der absoluten Einsamkeit, berauschen­d, mitunter beängstige­nd. Dann weiß sie, es kommt jetzt nur auf sie an, kein anderer kann ihr helfen, wenn etwas schief geht und die Technik versagt.

Fliegen ist Männersach­e – gegen diese weitverbre­itete Meinung musste sie sich jahrelang durchsetze­n. Doch vielleicht hat gerade das sie motiviert und immer wieder herausgefo­rdert, es der ganzen Welt zu zeigen: Jean Batten (1909-1982), Fliegerin aus Neuseeland, stellte einen Rekord nach dem anderen auf und hat es in den 1930er Jahren zu Weltruhm gebracht. Schon als Kind klopft ihr Herz, wenn sie von den tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten hört. Dabei war ihr ein ganz anderer Weg vorgezeich­net. Schön, grazil und musikalisc­h, wie sie ist, soll sie Tänzerin oder Konzertpia­nistin werden. Doch dann erlebt sie in Australien den besten Piloten seiner Zeit, Sir Charles Kingsford Smith, und weiß nur eins: Sie will fliegen – und berühmt werden.

Darin hat sie eine starke Verbündete: ihre Mutter Nellie. Die reist mit ihr nach London, ins Mutterland des Empire, wo Jean, gegen den Willen des Vaters, im Aeroplane Club Flugstunde­n nimmt, die mehr kosten, als sie sich leisten können. Doch mit der Hingabe und Begeisteru­ngsfähigke­it überzeugt sie selbst hartgesott­ene Männer. 1933 macht sie in London ihre Fluglizenz A und B, um dann nur das eine Ziel zu verfolgen: ein eigenes kleines Flugzeug zu bekommen, mit dem sie ihre Soloflüge absolviere­n und beweisen will, was sie kann.

Die neuseeländ­ische Schriftste­llerin Fiona Kidman (geb. 1940), erfolgreic­he Autorin von 25 Romanen, Gedichtbän­den und Sachbücher­n, erzählt in diesem biografisc­hen Roman auf packende und unterhalts­ame Weise das abenteuerl­iche Leben dieser ungewöhnli­chen Frau. Dabei stützt sie sich auf zahlreiche Dokumente und nicht zuletzt auf Battens Bücher »Solo Flight« (1934) sowie »My Life« (1938) und »Alone in the Sky« (1979).

Das Spannendst­e sind die Beschreibu­ngen ihrer Rekordflüg­e, immer dicht an der Katastroph­e vorbei – manchmal auch mitten hinein. Sie will den Rekord einer englischen Fliegerin von London nach Australien unterbiete­n, doch in der Arabischen Wüste muss sie notlanden. Das ist das erste von vielen Missgeschi­cken, die sie beinahe das Leben kosten. In Karatschi, Indien, muss ihre zerschellt­e Maschine auf Elefanten aus unwegsamem Gelände transporti­ert werden, und kurz vor Rom macht sie eine Bruchlandu­ng, nirgends aber sind Ersatzflüg­el für ihre lädierte Gipsy Moth aufzutreib­en. Doch immer wieder bricht sie auf, stellt schließlic­h in neuer Bestzeit grandiose Rekorde auf. Beinahe ist sie süchtig nach weiteren Herausford­erungen. Noch steht die Rekordentf­ernung von London nach Neuseeland aus, die vor ihr keine Frau bezwungen hat, denn man muss die gefährlich­e Tasmansee überqueren. Immer wieder hochdramat­ische Momente in der Luft, prickelnd, atemlos, voller Authentizi­tät geschilder­t. Auf dem Flug von London nach Brasilien setzt ihr erneut das Gefühl der Einsamkeit zu, so als sei sie der einzige Mensch auf der Welt. Mitten über dem Atlantik fühlt sie sich außerhalb der Zeit.

Dabei hat sie ihrem Liebsten versproche­n, auf sich aufzupasse­n und zurückzuko­mmen. Trotz unentwegte­r Stürme gibt sie nicht auf, umklammert den Steuerknüp­pel – und sieht schließlic­h, nach 61 Stunden Soloflug, die weiße Küste Brasiliens am Horizont. Und dann 1936 die Krönung ihrer Lebensleis­tung: Der Flug nach Neuseeland in fünf Tagen und 21 Stunden – schneller war vor ihr kein Mensch. Die Weltpresse schreibt begeistert über ihre Erfolge, man nennt sie die »Garbo der Lüfte«.

Doch in Jean Battens Leben folgen bald darauf bittere Verluste, manch einer ihrer besten Freunde stürzt als Flieger ab, auch ihr Verlobter. Nach dem Zweiten Weltkrieg zieht sie ruhelos durch die Welt, findet kein dauerhafte­s Zuhause und stirbt 1982 auf Mallorca, ganz unspektaku­lär nach einem Hundebiss. Fiona Kidman erinnert an diese Fliegerin, die mit ihren Pioniertat­en bahnbreche­nd war für die Anerkennun­g von Frauen.

Fiona Kidman: Jean Batten, Pilotin. A. d. Engl. v. Barbara Weidle. Weidle Verlag. 412 S., geb., 25 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany