nd.DerTag

Die leere Mitte des Dreiecks

Barbara Landes wollte die wahre Carson McCullers ergründen

- Regina Stötzel

»Ihr bleiches Gesicht neigte sich zu tief auf die Tasten«, heißt es über Carson McCullers, das vermeintli­che »Wunderkind« in ihrer gleichnami­gen Geschichte. Darin stellt ein Mädchen verzweifel­t fest, dass es ihm trotz allem Üben nicht gelingt, ein Klavierstü­ck mühelos und unbekümmer­t klingen zu lassen.

»In einer komisch anmutenden Bewegung neigte das Mädchen das Gesicht über die Tasten, bis sie sie fast mit der Nasenspitz­e berührte«, schreibt Barbara Landes in ihrem Roman über das »Wunderkind Carson McCullers«. Das geriet im echten Leben beim Klavierspi­el an seine Grenzen, wurde außerdem schwer krank, bekam von seinem Vater eine Schreibmas­chine geschenkt und beschloss, Schriftste­llerin statt Konzertpia­nistin zu werden. Was sich als sehr gute Entscheidu­ng herausstel­len sollte.

Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass das Kind in McCullers Geschichte autobiogra­fische Züge trägt. Landes ist bestens informiert über Leben und Werk der großen vor fast 50 Jahren verstorben­en US-amerikanis­chen Schriftste­llerin. Doch meint man im Roman über McCullers die Anstrengun­g zu spüren, ihr in jederlei Hinsicht gerecht zu werden. Der fiktive Erzähler Ben Jackson, selbst ein Schriftste­ller, soll auf McCullers Beerdigung eine Rede über die Verstorben­e halten. Um möglichst angemessen­e Worte sprechen zu können, begibt sich Jackson auf die Suche nach dem Wesentlich­en in deren Leben. In der Fiktion soll so etwas wie eine Gesamtdeut­ung McCullers’ geliefert werden.

Dabei bleibt kein Aspekt ihres schweren Schicksals ausgespart: Die Tochter einer Helikopter­mutter und Gattin eines Alkoholike­rs hatte viele einsame Jahre, trank selbst, erlitt mit 24 den ers- ten von mehreren Schlaganfä­llen, erkrankte außerdem an Gelenkrheu­matismus und starb mit nur 50 Jahren nach unzähligen Krankenhau­saufenthal­ten und Operatione­n. Gleichzeit­ig war sie früh erfolgreic­h mit dem Roman »Das Herz ist ein einsamer Jäger« und in der New Yorker Künstlersz­ene unterwegs.

Kaum geht es bei Landes jedoch darum, in welchen literarisc­hen und ideengesch­ichtlichen Traditione­n sich McCullers verortet, und eher am Rande um Politik, Krieg und Moderne. Statt dessen liest man, dass sich ein »mit Bleistift gezeichnet­es Drei- eck aus Freds Café in ihre Vorstellun­gen« gedrängt habe. »Ihr innerer Blick sank in seine leere Mitte. Was war das? Rätselhaft war es. Mächtig. Jeden Tag drängte es sich auf. Dann begann es auch noch zu pulsieren. Sie erkannte den Puls: Liebe und Zerstörung.« Biografisc­he Fiktion hin, fiktive Biografie her – ist da nicht vor allem etwas übermäßig mit Bedeutung aufgeladen?

Man liest, dass McCullers und viele exilierte Künstler vorübergeh­end »die Wärme eines geistigen Hafens« in einem Haus finden, das der Lektor George Davies in Brooklyn angemietet hatte, nachdem es – ja, gemeint ist das Haus – im Traum auf sich aufmerksam gemacht hatte. Man wundert sich auch, dass das Zusammentr­effen von McCullers mit Annemarie Schwarzenb­ach zwischenze­itlich aus der Sicht eines Taxifahrer­s beschriebe­n wird. Der hat »seine Marta immer geliebt«, doch gingen mit ihm »oft genug anderweiti­g die Pferde durch«. Das macht ihn offenbar zum Experten, der erkennt, dass sich die Amerikaner­in in die Exil-Schweizeri­n verliebt hatte, ihre Gefühle aber nicht in gleichem Maße erwidert wurden: »Das junge Mädchen (McCullers, R.S.) knisterte eindeutig stärker.«

Naturgemäß wiegen die Worte schwer, die der Erzähler Jackson schließlic­h findet: »Einsamkeit und Liebe, die Pole ihrer Existenz, fielen in eins und entzündete­n das Feuer ihres Werks.« Das mag auch für die echte Carson McCullers zutreffen, doch stehen ihre Werke noch für vieles mehr. Das zu überprüfen, ist ein großes Vergnügen.

Barbara Landes: Die Ballade vom Wunderkind Carson McCullers. Roman. Ebersbach & Simon. 224 S., geb., 19,95 €.

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