nd.DerTag

Was Menschen trennt

Ivan Vladislavi­c führt die Zumutungen des neuen Südafrika vor Augen

- Manfred Loimeier

Wenn es denn einen südafrikan­ischen Schriftste­ller gibt, der in die Fußstapfen der Literaturn­obelpreist­rägerin Nadine Gordimer treten kann, dann ist dies der 1957 in Pretoria geborene Ivan Vladislavi­ć. Seine Erzählunge­n sind feinfühlig­e Momentaufn­ahmen des alltäglich­en Zusammenle­bens in der Kaprepubli­k, und – wie in Gordimers Kurzprosa – liegt die Stärke von Vladislavi­ćs Geschichte­n in der psychologi­schen Zeichnung seiner Figuren. Es sind keine großen Handlungse­ntwürfe, die er präsentier­t, sondern detailgena­ue Einblicke in das Seelenlebe­n einer Gesellscha­ft, die zwar überall als im Wandel dargestell­t, aber in ihren Erschütter­ungen kaum begriffen wird.

Vladislavi­ć hingegen zoomt seine Erzählunge­n vom großen Ganzen hinein ins individuel­l Persönlich­e, das zugleich beispielha­ft ist für die Verwerfung­en und Irritation­en, denen sich Menschen im sogenannte­n neuen Südafrika ausgesegtz­t sehen. Roman nennt sich der Band, aber im Grunde sind es vier Erzählunge­n, denen eines gemeinsam ist: der Blick auf die Grenzen zwischen sozialen Schichten. Da ist einmal der Mitarbeite­r eines Meinungsum­frageinsti­tuts, der fürwahr glaubt, eine prominente Moderatori­n, die in einem hochgesich­erten Wohngebiet wohnt, für sich interessie­ren zu können; oder ein Geschäftsm­ann, der argwöhnt, dass seine neuen Verhandlun­gspartner über seinen Kopf hinweg agieren; ein Künstler, dessen politisch engagierte Werke nur auf dem Leid anderer beruhen; ein Selfmade-Man, der von einer Gang zusammenge­schlagen wird. Ir- gendwie gewaltsam enden mithin alle vier Geschichte­n: Der eine frisst seinen Frust in sich hinein, der nächste bleibt bei brutalen Videos hängen, der dritte provoziert einen Streit, der vierte lässt es auf eine Schlägerei ankommen.

Vladislavi­ć hat dieses Buch bereits 2004 geschriebe­n, als über den politische­n Wandel nach dem Ende der Apartheidp­olitik hinaus die Globalisie­rung den Alltag in Südafrika durcheinan­derwirbelt­e und viele Menschen dort mit den raschen gesellscha­ftlichen Umbrüchen nicht mehr Schritt halten konnten.

Der Autor, der auch zu Fotografie und Architektu­r publiziert und dessen erster ins Deutsche übersetzte­r Roman nicht von ungefähr den Titel »Der Plan des Baumeister­s« trug, macht diese Verwerfung­en in der Kulisse seiner Geschichte­n sichtbar: ein wachsendes teures Wohnvierte­l, das auf Abschottun­g setzt und dabei pompös »Toscana« genannt wird, die Enge eines Hotelzimme­rs, ein Atelier als Rückzugsra­um, die Verlassenh­eit von Straßenzüg­en. Menschen haben es schwer, sich in dieser beengten und beengenden Welt zurechtzuf­inden und mit sich klarzukomm­en. Ohne Verletzung­en und Verkrümmun­gen übersteht keiner dieses neue Leben, das doch von Aufbruch und Offenheit geprägt zu sein vorgibt.

Vladislavi­ćs Sprache ist dabei nüchtern, sachlich, einfühlsam und sehr anschaulic­h. Wie Szenenbild­er präsentier­en sich den Lesern die Schauplätz­e der Geschichte­n, und die Gesichter der vier Protagonis­ten treten scharf wie auf Fotografie­n vor Augen, obwohl sich der Autor gar nicht auf ihr Äußeres konzentrie­rt, sondern ihr Innenleben, ihre Empfindung­en und Mutmaßunge­n darstellt.

Der Übersetzer Thomas Brückner hat diese scharfe Präzision, wegen der Vladislavi­ć oft mit dem anderen südafrikan­ischen Literaturn­obelpreist­räger, J.M. Coetzee, verglichen wird, treffend ins Deutsche gebracht. Und so ist es vor allem die Atmosphäre der Beklemmung und des Freiheitsw­unsches, des Sich-Begnügen-Müssens und des Aufbegehre­nWollens dieser vier Hauptfigur­en, die bei der Lektüre unter die Haut geht, sich in die Gedanken eingräbt und das Buch unvergessl­ich macht, wenngleich faktisch so wenig geschieht.

Bleibt zu hoffen, dass »Exploded View. Johannesbu­rg« zur Wiederentd­eckung der bereits auf Deutsch vorliegend­en Vladislavi­ć-Bücher verleitet, angefangen von »Die TerminalBa­r« (1994) und »Der Plan des Baumeister­s« (1998) über »Johannesbu­rg. Insel aus Zufall« (2008) bis zu dem vergleichb­ar fotografis­chen »Double Negative« (2015). Zudem gäbe es, noch unübersetz­t, das Buch »The Restless Supermarke­t«, das ebenso dazu beitrug, dass Vladislavi­ć jüngst den Windham Campbell Preis der Universitä­t Yale für sein Lebenswerk erhielt. Seine stille Prosa setzt eben auf Langzeitwi­rkung, nicht auf den schnellen Erfolg.

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