nd.DerTag

Prediger einer radikalen Wandlung der Menschen

Günter Vogler und Siegfried Bräuer berichten, wie Thomas Müntzer »Neu Ordnung« machen wollte in der Welt

- Alejandro Zorzin

»Nur wenige prominente Persönlich­keiten der frühen Reformatio­nszeit stellen Autoren vor so große Schwierigk­eiten, ein verlässlic­hes Bild von ihnen zu gewinnen, wie Thomas Müntzer ... Persönlich­e Zeugnisse, die Auskunft über seine Lebensweis­e und seinen Charakter geben, sind nur spärlich überliefer­t ... Als Person tritt er ganz hinter die von ihm vertretene Sache zurück«, konstatier­en Siegfried Bräuer und Günter Vogler. Der Theologe und der Historiker haben die biografisc­he Herausford­erung bestens gemeistert. Im Anmerkungs­teil verweisen sie darauf, welche Aussagen auf zuverlässi­gen Informatio­nen beruhen und wel- che nur indirekt werden konnten.

Den Autoren ist es gelungen, sowohl für Kenner der Reformatio­n wie für ein an ihr interessie­rtes Publikum ein gut lesbares und äußerst informativ­es Werk vorzulegen. Sie gehen chronologi­sch vor, verfolgen Müntzers Lebensstat­ionen von der Geburt 1490 bis zu dessen gewaltsame­m Tod im Mai 1525. Beleuchtet werden Herkunft (Stolberg am Harz) und Studienjah­re in Leipzig und Frankfurt an der Oder. Das Autorenduo folgt Müntzers Spuren in Braunschwe­ig, Frose, Wittenberg, Zwickau, Prag, Glauchau, Allstedt und Mühlhausen. Geschilder­t werden die jeweiligen sozi- erschlosse­n alen Milieus und der geistigthe­ologische Kontext. Diese geografisc­h-soziale Verbindung mit den Inhalten von Müntzers Reden und Schriften macht die besondere Stärke des Buches aus.

Zu ihrer Herangehen­sweise schreiben Bräuer/Vogler: »Als Theologen und Historiker Luther und seine Förderer zur alleinigen Norm für die Beurteilun­g des Reformatio­nsgeschehe­ns erhoben, wurden abweichend­e Auffassung­en und konkurrier­ende Bewegungen zumeist als Irrlehren verworfen und Müntzer als ›Außenseite­r‹ abgestempe­lt. Doch in den frühen Jahren, als die reformator­ischen Bewegungen erst allmählich Konturen gewannen, war die Situation noch offen und waren unterschie­dliche Optionen möglich. Wenn etwas in Bewegung ist, können noch verschiede­ne Wege eingeschla­gen werden. Nur ein solches Verständni­s kann helfen, die Motive Müntzers und seiner Anhänger zu verstehen.« Diese Perspektiv­e ermöglicht es den Autoren auch, die sich zwischen Luther und Müntzer aufbauende Spannung in einen angemessen­en Rahmen zu stellen. »Während Luther sich ... im Gegen- über zur römischen Kirche darauf konzentrie­rte, den einzelnen Christen durch das verkündigt­e Evangelium aus dem überliefer­ten kirchliche­n Heilssyste­m herauszulö­sen und zu einer eigenen Entscheidu­ng für sein Heil frei zu machen, sah Müntzer darin bald eine Engführung.«

Müntzers ganzheitli­ches Bibelverst­ändnis drängte ihm die Erkenntnis auf, »dass nicht nur die Rettung des einzelnen Menschen, sondern der ganzen Welt auf dem Spiel stehe«. Müntzers Anspruch war nicht weniger, als »eine radikale Wandlung der Menschen und der Welt vorzuberei­ten«. Es ging ihm darum, »die Menschen zu unterricht­en und zu erziehen, um ihnen den Weg zum wahren Glauben zu weisen«. Aber sein »Glaubensve­rständnis korrespond­ierte nicht mit dem Zustand der Welt«, konstatier­en Bräuer/Vogler. »Um es zur Geltung zu bringen, musste diese neu geordnet wer- den. Im Zeichen der apokalypti­schen Erwartunge­n sah er folglich in der Scheidung der ›Auserwählt­en‹ von den ›Gottlosen‹ eine unmittelba­re Aufgabe.«

Neben dem ausführlic­hen Quellen- und Literaturv­erzeichnis auf aktuellste­m Stand seien hier als bemerkensw­ert auch die vielen, kenntnisre­ich von Marion Damaschke zusammenge­stellten Abbildunge­n hervorgeho­ben. Günter Vogler und Siegfried Bräuer ist ein ausgezeich­netes Buch gelungen. Ihrem Fazit, »dass Thomas Müntzer im Ringen um den künftigen Weg einen eigenständ­igen Beitrag leistete, sich aber letztlich nicht durchzuset­zen vermochte«, ist zuzustimme­n.

Siegfried Bräuer/ Günter Vogler: Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt. Eine Biographie. Güterslohe­r Verlagshau­s. 542 S., geb., 58 €.

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