nd.DerTag

Die Dramatik eines Umbruchs

Harold R. Isaacs beklagt die Tragödie der chinesisch­en Revolution

- Wolfram Adolphi

In den Jahren 1925 bis 1927 tobte im sozial und territoria­l völlig zerrissene­n, den Kapitalen der imperialis­tischen Mächte und der brutalen Herrschaft regionaler Warlords ausgeliefe­rten China die Revolution. »Sie ist neben der russischen Revolution das größte und bedeutends­te revolution­äre Ereignis der gegenwärti­gen Geschichte«, schrieb der deutsche Kommunist Heinz Grzyb alias Asiaticus, der in dieser Zeit in China als Journalist – wie er selbst formuliert­e – »im Dienste der Revolution« tätig war. In seinem 1928 erschienen­en Buch »Von Kanton bis Schanghai 1926-1927« analysiert­e er bereits erstaunlic­h weitgehend den Zyklus östlicher Revolution­en mit den Höhepunkte­n Russland 1905, China 1911 und wieder Russland 1917, der in China 1925 bis 1927 seinen Abschluss fand.

Die Geschichte dieser Revolution, in deren Ergebnis Tschiang Kaishek seine Diktatur errichtete und deren dramatisch­e Niederlage den Ausgangspu­nkt für den Aufstieg Mao Zedongs und seiner auf die chinesisch­en Bauernmass­en konzentrie­rten revolution­ären Theorie und Praxis bildete, ist bis heute Gegenstand lebhaftest­er Auseinande­rsetzungen. Und das kann man aufs Trefflichs­te am Beispiel des hier in Rede stehenden Buches »Die Tragödie der chinesisch­en Revolution« nachvollzi­ehen.

Erschienen ist es in den USA 1938, und jetzt, 2016, liegt es erstmals in deutscher Sprache vor. Sein Autor, Harold R. Isaacs, geboren 1910, lebte laut Klappentex­t von 1931 bis 1936 in China und »schloss sich 1934 den chinesisch­en Trotzkiste­n an«. Trotzki muss ihn sehr geschätzt haben, denn er würdigte das Buch mit einem Vorwort. Und dort treten die Widersprüc­he zwischen ihm und der Politik Stalins und der Komintern glasklar zutage.

Wo er, Trotzki, von der KP Chinas, der »chinesisch­en Sektion der Komintern«, gegenüber der Bourgeoisi­e eine »noch unversöhnl­ichere Politik als in Russland« erwartete, habe diese sich »unter dem Kommando Moskaus vom Marxismus losgesagt und die reaktionär-scholastis­chen ›Prinzipien Sun Yat-sens‹ anerkannt«. Mit ihrem Eintritt in die Guomindang sei sie »den Weg der Unterordnu­ng unter die Bourgeoisi­e viel weiter gegangen, als ihn die russischen Menschewik­i oder Sozialrevo­lutionäre je gegangen sind«. Und damit nicht genug: Die gleiche unheilvoll­e Politik wiederhole sich jetzt – 1938 – während des Kriegs mit Japan.

Orientieru­ng auf die proletaris­che Weltrevolu­tion oder Schaffung von Bündnissen – national-revolution­ären, klassenübe­rgreifende­n – zur Umgestaltu­ng der Verhältnis­se: Diese Fragen sind heute so aktuell und umstritten, wie sie es vor einem Jahrhunder­t waren. »Das Trotzkisch­e Schema der bürgerlich­demokratis­chen Revolution« habe »nicht das geringste mit der chinesisch­en Wirklichke­it zu tun«, schrieb Asiaticus 1928. Die »nächste Perspektiv­e der Revolution« könne auch nach der Niederlage »nur eine demokratis­che Diktatur« sein, in der »die kleinbürge­rliche städtische Armut noch eine sehr wichtige Rolle in der Revolution spielen« müsse. Harold R. Isaacs aber beschreibt andere Wirklichke­iten. Die Weisungen aus Moskau zur Zusammenar­beit mit der Guomindang seien nichts anderes gewesen als »eine Aufforderu­ng an die chinesisch­en Kommuniste­n, ihren Kopf gehorsam auf den Hackklotz zu legen, nicht mehr und nicht weniger.«

Isaacs‘ Buch ist eine lesenswert­e, spannende Darstellun­g der Revolution, die den Blick weitet für die Dramatik eines gewaltigen Umbruches. Zu raten aber ist, das Buch nicht mit dem Anspruch in die Hand zu nehmen, nun endlich »die Wahrheit« zu erfahren. Und leider verzichten die Herausgebe­nden auf eine Einordnung des IsaacsBuch­es in eine umfassende­re Debatte. In ihrem anonymen (!) Vorwort klagen sie Mao Zedong an, nicht »die Errichtung der Arbeiterma­cht«, sondern eine »demokratis­che Diktatur des Volkes« angestrebt zu haben. Und zum Schluss erklären sie, dass »die gesellscha­ftlichen Widersprüc­he« in China heute »ähnlich explosiv wie in den 1920er Jahren« seien – »mit einem Unterschie­d: Die Arbeiterkl­asse, die damals einige Hunderttau­send Menschen zählte, umfasst heute mehrere hundert Millionen«. So ist das Buch nicht nur eines über China, sondern auch – oder sogar vor allem? – über den Trotzkismu­s.

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