nd.DerTag

Die Ausnahmege­sellschaft

Uta Bretschnei­der erinnert an die Umsiedler in der SBZ und DDR

- Maria Oppenhäuse­r

Über vier Millionen Menschen gelangten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus den ehemals von Hitlerdeut­schland okkupierte­n und germanisie­rten oder auch seit Jahrhunder­ten deutsch besiedelte­n Territorie­n in Osteuropa in die Sowjetisch­e Besatzungs­zone. Die Aufnahmege­sellschaft, auf die diese Flüchtling­e und Vertrieben­en trafen, war, wie Uta Bretschnei­der schreibt, eine »Ausnahmege­sellschaft«, die tiefgreife­nde gesellscha­ftliche Wandlungen durchlief. An denen die sogenannte­n Umsiedler einen wesentlich­en Anteil hatten. Sie klagten nicht, sondern packten an – beim Wieder- und Neuaufbau des Landes.

Es wurde ihnen jedoch nicht gebührend gedankt, berichtet die Autorin. Die SED machte sie zu »Menschen ohne Vergangenh­eit«. Es war für sie ein Ta- bu, über ihre Herkunft zu sprechen. Die schließlic­he Integratio­n der »Umsiedler« erfolgte allmählich und unter der – durchaus nicht falschen, auch heute wünschensw­erten – Losung »Vom Ich zum Wir«. Staatliche Unterstütz­ung, strukturel­le Umbrüche im ländlichen Raum und der Generation­enwechsel trugen zum Einleben der »Neubürger« bei – ein Begriff übrigens, der 1946 in Thüringen geprägt worden ist.

Die Autorin informiert über die soziale Herkunft der Flüchtling­e, über erste Unterkünft­e, teils in Klostern, über »Stop- peln« und Stehlen als frühe Formen der Alltagsbew­ältigung, auf oft willkürlic­he Ortszuweis­ungen (Das Dorf als »Zufallshei­mat«) und natürlich über die Bodenrefor­m: »Junkerland in Bauernhand«. Sie berichtet über »Republikfl­uchten« und die Kollektivi­erung, die aus den Neubauern Genossensc­haftsbauer­n machte.

Uta Bretschnei­der, promoviert­e Volkskundl­erin und Mitarbeite­rin am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden, jener Stadt, die sich in den letzten Wochen und Monaten lautstark gegen die neuen Flüchtling­e positionie­rte, ist für ihren historisch­en Rückblick zu danken. Die Autorin zeigt, dass Integratio­n möglich ist, auch wenn es anfangs viele Probleme, Missverstä­ndnisse und Vorurteile gibt.

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