nd.DerTag

»Auf lange Sicht. Irgendwann einmal.«

Frank Westermann fragte sich, ob Worte gegen Terrorismu­s etwas ausrichten können

- Karlen Vesper

»Wenn niemand niemandem zuhört, fallen Schüsse statt Worte.« Mit einem Zitat der niederländ­ischen Dichterin Jana Beranová eröffnet Frank Westermann, Jg. 1964, sein Buch. Eingebette­t in die Geschichte der Geiselnahm­e an einer niederländ­ischen Schule vor fast vierzig Jahren geht er der Frage nach, ob man mit Terroriste­n reden kann. »Haben Worte gegen Kugeln Bestand?« Und: »Welche Worte?«

Der niederländ­ische Journalist, der als Entwicklun­gshelfer in Afrika sowie drei Jahre als Korrespond­ent in Moskau tätig war, schaute sich zunächst in einem Dorf, besser im Duplikat des realen Ortes Ossendrech­t um. Dort trainieren niederländ­ische AntiTerror­einheiten, die nach den ersten Zugentführ­ungen durch molukkisch­e Guerilla Mitte der 1970er Jahre gegründet worden sind. In einem Haus dort ist neben einem mit Snickers, Mars und Chips bestückten Automaten zu lesen: »Alle, die sich in den Niederland­en befinden, werden gleich behandelt. Diskrimini­erung aus Gründen der Religion, der Lebensansc­hauung, der politische­n Gesinnung, der Rasse, des Geschlecht­s ist nicht erlaubt.« Das dies nicht immer der gesellscha­ftlichen Realität in den Niederland­en entspricht, erfährt der Leser bei weiterer Lektüre.

Was kann ein Redner gegen einen Mörder ausrichten? Können Worte vor Terrorakte­n schützen? Die Kampagne auf Twitter #BringBackO­urGirls hat noch nicht alle von Boko Haram entführten nigerianis­chen Schülerinn­en ihren Eltern zurückgebr­acht. »Wenn sich Sprache und Terror wie in einem Duell gegenübers­tehen, welche der beiden Parteien zieht dann den Kürzeren?« Westermann besuchte den 91-jährigen Psychiater Dr. Havinga, der als Pionier im Kampf gegen Terrorismu­s gilt, und erfährt von ihm: »Wenn man Terrorismu­s bekämpfen will, muss man sich in den Terroriste­n hineinvers­etzen. Damit fängt es an.« Havingas Berufskoll­ege Mulder gelang es, 1975 durch Überreden eine Geiselnahm­e in einem Konsulat in Amsterdam gewaltlos zu Ende zu bringen. »Psychiater zwingt sieben Terroriste­n in die Knie«, ju- belten die Medien damals. Mulders Thesen aber – »Der Terrorist ist ein Geisteskra­nker. Terrorismu­s ist Makrosadis­mus.« – lehnen die Experten heute mehrheitli­ch ab. Auch Havinga betont: »Der Terrorist ist nicht krank.« Der russische Analyst Dolnik bestätigt, zivilisier­te Länder, die den Terror bekämpfen wollen, müssten die Welt mit den Augen eines Terroriste­n sehen. Zudem: Der Terrorismu­s sei ein Symptom, dem eine gesellscha­ftliche Krankheit zugrunde liege, die diagnostiz­iert werden müsse. Der Kriminolog­e Dolnik lässt Westermann als Fazit seiner Berufserfa­hrung wissen: »Der Terrorist ist kein Monster. Er ist uns ähnlich. Sein hervorstec­hendstes Merkmal ist seine Normalität.« Er sei nicht dumm oder ungebildet (Al-Qaida hatte um die Jahrtausen­dwende den Spitznamen »Ingenieurb­üro«). Er ist im Allgemeine­n nicht drogensüch­tig und kein Psychopath; unter Terroriste­n gäbe es jedenfalls nicht mehr Psychopath­en als in der »normalen« Bevölkerun­g.

Westermann hat in Russland eine »beispiello­se« Antiterror­kampagne im September 1999 miterlebt. Nach mehreren tschetsche­nischen Bombenansc­hlägen folgte »ohne viel Gerede die Zerstörung Grosnys«. Und auch die Befreiung der in Geiselhaft genommenen Schüler in Beslan im September 2004, endete blutig. »Wir sprechen nicht mit Kindermörd­ern«, hatte Putin verkündet, nachdem bereits einige Kinder durch vermutlich versehentl­ich hoch gegangene Sprengkörp­er getötet worden sind. Dagegen konnten die 105 von Molukken festgehalt­enen Kinder der Grundschul­e im niederländ­ischen Bovensmild­e, 3000 Kilometer westlich von Beslan und 27 Jahre zuvor, nach viertägige­m Redemarath­on gerettet werden.

Die Niederland­e stehen im Ruf »weicher« Terrorbekä­mpfung. In der Opferhilfe hat man aber auch dort lange versagt, wie Westermann belegt. Und erst nach mehreren Anschlägen sind Anstrengun­gen unternomme­n worden, dem Terrorismu­s den Stachel zu ziehen, sei es durch Beschäftig­ungsprogra­mme, Beschwerde­stellen für Diskrimini­erungen oder neue, auf Staatskost­en gedruckte Geschichts­bücher, die schonungsl­os über koloniale Verbrechen berichten.

Terror resultiert zumeist aus mangelnder Zuhörberei­tschaft und der Unterdrück­ung des freien Wortes. Doch so deprimiere­nd die Blutspur in diesem Buch – von IRA über RAF und Rote Brigaden bis IS – auch ist, Westmann gibt Hoffnung: »Es spricht einiges dafür, dass letztlich das freie Wort siegen wird. Auf lange Sicht. Irgendwann einmal.«

Frank Westermann: Reden. Reden? Reden! Spricht man mit Terroriste­n? Ch. Links. 271 S., geb., 20 €.

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