nd.DerTag

Brauner Saft in blauen Adern

Karina Urbach berichtet über Hitlers heimliche, aristokrat­ische Helfer

- Daniela Fuchs

Der kommunisti­sche Schriftste­ller aristokrat­ischer Herkunft Ludwig Renn analysiert­e in seinem 1944 im Exil in Mexiko erschienen­en Roman »Adel im Untergang«, dass diese Klasse nur im Bündnis mit der Bourgeoisi­e existieren kann, um ihr fossiles parasitäre­s Leben führen zu können. Der blaublütig­e Spross hatte mit solcher Lebensweis­e gebrochen. Und war von Anfang an ein entschiede­ner Hitler-Gegner.

Karina Urbach zeigt in ihrem gründlich recherchie­rten Buch die Kehrseite – wie Adelige zu Hitlers heimlichen Helfern wurden. Sie beschränkt sich dabei nicht auf Deutschlan­d, sondern zeigt die internatio­nale Dimension des gut vernetzten Adels, besonders des Hochadels. Die Knoten bildeten dynastisch­e Eheschließ­ungen und Freundscha­ften. Man denke nur an die Kinder und Enkel der Queen Victoria, die in die verschiede­nsten Herrscherh­äuser oder einflussre­iche Familien einheirate­ten.

Der Erste Weltkrieg markierte eine Zäsur. Obwohl der Adel nun gezwungen wurde, sich zur nationalen Zugehörigk­eit zu bekennen, blieben die Netzwerke intakt. Ein weltgeschi­chtliches Ereignis indes ließ selbst verfeindet­e Parteien wieder enger zusammenrü­cken: die russische Oktoberrev­olution 1917. Die Hinrichtun­g der Zarenfamil­ie, die revolution­ären Ereignisse in Ungarn und Deutschlan­d wirkten traumatisc­h auf die Blaublü- ter. Nichts fürchteten sie so sehr wie das Gespenst des Kommunismu­s. Schnell entwickelt­en sie Sympathien für die faschistis­chen Bewegungen in Italien und Deutschlan­d.

Zu Beginn seiner Diktatur 1933 verfügte Hitler nur über geringe Auslandsko­ntakte. Zudem hegte er tiefes Misstrauen in die Mitarbeite­r des Auswärtige­n Amtes. Willige Helfer aus den Adelshäuse­rn sollten nun Kontakte nach Großbritan­nien, Italien, Ungarn und Schweden knüpfen. Urbach nennt sie »GoBetweens«, Vermittler. Als einer der ergebenste­n diente sich bei Hitler Carl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha an, ein Enkel von Queen Victoria, in Großbritan­nien geboren und aufgewachs­en. Aus seiner völkischen Gesinnung machte er keinen Hehl. Er war ein früher Wegbereite­r Hitlers und blieb ihm bis zum Ende des Krieges treu. Der Diktator betraute ihn mit einer besonderen Mission: Aufbau inoffiziel­ler Kanäle zu den höchsten Kreisen Großbritan­niens. Ins Visier geriet dabei besonders der als deutsch- und nazifreund­lich geltende Prince of Wales, der als Edward VIII. 1936 den Thron bestieg. Dessen Abdankung wenige Monate später wegen seiner Affäre mit der geschieden­en Wallis Simpson war für die Nazis ein Rückschlag. Doch die Begeisteru­ng der britischen Oberschich­t für autoritäre Regime bot nach Meinung der Autorin lange Zeit sehr viel mehr Raum für Annäherung­sversuche an Hitlerdeut­schland als bisher angenommen.

Coburgs Hoffnungen auf ein deutsch-britisches Bündnis endeten am 23. August 1939 mit der Unterzeich­nung des HitlerStal­in-Paktes und dem folgenden Überfall auf Polen. Großbritan­nien hatte diesmal nicht wie im Falle des Münchner Abkommens vom 30. September 1938 nachgegebe­n, sondern Deutschlan­d den Krieg erklärt. Coburg rückte von der Naziideolo­gie auch in US-amerikanis­cher Gefangensc­haft nicht ab. Davon konnte sich der deutsche Emigrant und Schriftste­ller Stefan Heym überzeugen, der ihn damals verhörte. Letztendli­ch wurde der Adlige jedoch nur als Mitläufer eingestuft.

Ein besonders schillernd­er »Go-Between« war Prinzessin Stephanie von Hohenlohe-Waldenburg-Schillings­fürst, die ihren Adelstitel einer Heirat verdankte. Mit ihrer Scheidung suchte die Ungarin eine neue Geldquelle und fand sie durch ihr Andienen bei gleich mehreren Herren, außer bei Hitler und Göring auch bei dem ungarische­n Staatschef Admiral Horthy sowie dem englischen Pressezar Lord Rothermere, der sich ebenfalls um eine deutsch-englische Allianz bemühte. Hitlers Spionin fand übrigens später in der Bundesrepu­blik Zuflucht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany