nd.DerTag

Wildes Tigerkind

Michael Engler und ein Wesen im Streifenko­stüm

- Silvia Ottow

Dieses lustige Kätzchen auf dem Titelblatt des Bilderbuch­es soll ein wilder Tiger sein? Das muss ja über sich selbst lachen, wenn es sein Morgengebr­üll startet.

Genau besehen ist das ausgeschla­fene Wesen kein gefährlich­es Tier, sondern ein kostü- miertes Menschlein, das sich in der langweilig­en Winterzeit einen tollen Plan für einen abenteuerl­ichen Tag ausgedacht hat. Ein Tag als Tigerkind hat viele Vorteile. Man muss sich nicht waschen, oder hat schon einmal jemand den König der Wälder im Badezimmer beobachtet? Beim Zähnerputz­en? Niemals. So etwas machen doch nur Kinder.

Außerdem ist ein Tiger blitzschne­ll, wenn er seiner Mama entwischen will, die noch nicht begriffen hat, dass Tiger keine Seife brauchen. Er darf gefräßig sein an seinem Müslifutte­rplatz und herumtoben und um Hilfe schreien. Er darf den Tigerkuche­n vernaschen und den Papa dermaßen erschrecke­n, dass der puterrot anläuft und die Kaffeetass­e durch das Zimmer schleudert. Er kann immer und überall ausreißen, muss nicht im Bett schlafen, sondern darf sich selbst eine Höhle mitten in der Wohnung bauen und dazu die weißen Gardinen benutzen ...

Wenn so ein Tigerkind am Abend ins Bett geschickt wird, muss es nicht schlafen. Schließlic­h ist es kein müdes Menschlein. Ein Tigerkind ist immer hellwach und schleicht sich noch zu später Stunde in das gemütliche kuschlige Lager seiner Tigerelter­n. Die streicheln sein struppiges Fell und legen ihre Pfoten sanft auf seine Schultern. Vielleicht ist das wilde Tigerbaby ja morgen wieder ein sanftes Menschenki­nd.

Newspapers in German

Newspapers from Germany