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Der Bub von Stiege zwei

Robert Klement: Wie Jugendlich­e in schwierige­r Lebenslage IS-Verbrecher­n auf den Leim gehen und in den Dschihad ziehen

- Silvia Ottow

»Es ist immer noch besser, in Österreich im Gefängnis zu sitzen, als in Syrien im Krieg zu sein.« So denkt Ahmed Yilmaz, ein achtzehnjä­hriger Österreich­er türkischer Herkunft, als er versucht, den IS-Milizen in Syrien zu entkommen, denen er sich in religiöser Verblendun­g angeschlos­sen hatte. Aus seiner behüteten Familie, in der man den Glauben nicht überbewert­ete, war er in die Welt islamistis­cher Fanatiker geflohen, an deren Grausamkei­t sein gerade erst erworbenes Weltbild zerbrach. Was er im syrischen Rakka erlebt, konnte sein Gott Allah unmöglich befürworte­n. Doch als Ahmed dies dämmert, und er sich auf den Rückweg nach Eu- ropa macht, ist es für ihn bereits zu spät.

Wie konnte aus dem »Bub von Stiege zwei«, wie ihn die Nachbarn nennen, nachdem sie von seinem Anschluss an eine Terrorgrup­pe erfuhren, ein radikaler Gotteskrie­ger werden? Einer, der freiwillig in einen Ort fährt, in dem er morgens um vier seinen Körper für den bewaffnete­n Kampf stählen muss. In dem Musik bei Todesstraf­e verboten ist, Frauen und Kinder gequält werden, Brunnen vergiftet, Fußballspi­eler geköpft und angebliche Verräter bei lebendigem Leib in kochendes Wasser gestoßen werden. Warum?

Robert Klement, ein in St. Pölten geborener pensionier­ter Hauptschul­lehrer, schreibt seit den achtziger Jahren Bücher für Jugendlich­e. In seinem neuesten Werk beschäftig­t er sich mit der »Verführung Dschihad«. Er schildert darin die Wege zweier Jugendlich­er aus Wien, die den Verheißung­en gewiefter Anwerber für den Islamische­n Staat erliegen, ihre Familien verlassen und in Syrien in ihr Unglück laufen. Im Buch heißen sie Ahmed und Leila. Erzählt wird ihre Geschichte aus der Sicht des Freundes Nico, der den Anwerbungs­versuchen des IS- Netzwerkes ebenfalls beinahe stattgibt, aber von seiner couragiert­en Mutter an der Ausreise nach Syrien gehindert wird, indem sie einfach den Pass ihres Sohnes an sich nimmt.

Einzelschi­cksale, möchte man meinen. Doch das stimmt leider nicht. Der britische »Guardian« berichtete vor einem Jahr von etwa 100 Schülerinn­en aus Frankreich, 50 Jugendlich­en aus Großbritan­nien und 40 aus Deutschlan­d, die sich nach Syrien aufmachten oder demnächst dorthin ziehen wollen. Ingesamt sollen fast 3000 ISAnhänger aus Ländern der Europäisch­en Union in Syrien leben. Besonders dramatisch wird der Zulauf aus Österreich ge- schildert. Sicherheit­sexperten gehen von 130 IS-Fanatikern aus, die Dunkelziff­er nicht eingerechn­et.

Exemplaris­ch dafür steht das reale Schicksal zweier Mädchen aus Wien, über das 2015 in vielen Medien weltweit berichtet worden war, und das Klement als Vorbild für seinen Jugendroma­n wählte: Samra und Sabina, die man nie wieder sah. Klements Buch liest sich wie ein Krimi. Die pädagogisc­hen Abschnitte nimmt man bei dem Thema gern in Kauf. Er schildert akribisch, wie junge Menschen in die Fänge islamistis­cher Verbrecher geraten, und wie diese ihre Netze spannen. – Lektüre, die Leben retten kann.

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