Im Lager ein Lustspiel
Dämonie Dachau: Thomas Heise im Rundfunkgespräch mit Erwin Geschonneck
Wunderschön, die Landschaft. Fernsicht auf die Berge. Ein Mann geht spazieren. Es ist der Henker. Muße nach getaner Arbeit. Idyll – und Grauen. Das KZ Dachau. Der Schauspieler Erwin Geschonneck erzählt. Und wie er erzählt! Der Ton, der den Schrecken aus der Erinnerung holt, ist noch im Nachhinein fast neugierig, aufgeräumt, unbegreiflich heiter.
Der Dokumentarfilmer Thomas Heise hat Geschonneck (1906-2008) im Jahre 1987 über seine vierjährige Zeit in Dachau befragt. Ein 55-minütiges, bedrängendes Feature entstand, das erst im Dezember 1989 gesendet werden durfte. Zu ehrlich, zu wenig den My- thos des antifaschistischen Widerstandes bedienend.
Seine Haut hat der Kommunist Geschonneck nie zu Markte getragen. Diese Haut, bevor sie mit allen Wassern gewaschen war, wurde mit allem Schmutz getauft. Vor allem mit dem Hinterhofdreck in Berlins Ackerstraße. Mit allen Wassern gewaschen? Das war auch der Angstschweiß dessen, der vor den Nazis fliehen muss, um später von den eigenen sowjetischen Genossen wieder ausgeliefert zu werden, an die Gestapo. Von dort ging’s ins Lager. Von solchen Verbrechen Stalins ist im Feature die Rede. Das Booklet dokumentiert den damaligen zensorischen Schrift- verkehr. Da heißt es in einem Rundfunk-Brief, Aussagen über »die Ermorderung« (!) von Kommunisten in der Sowjetunion hätten nichts zu suchen in einer Sendung über die Verbrechen der Faschisten. Geschichte als Trennkost. Dialektik als Verschönerungsverein. Das ideologische Reinheitsgebot. Die verordnete Idealisierung. Verklärung statt Aufklärung.
Die Arbeit des Schauspielers Geschonneck bestand stets in der Kunst, »die Gegensätze in ihrer äußersten Schärfe zu fassen« (Volker Braun über Peter Weiss). Den Gegensatz zwischen Dickkopf und Schlitzohr, zwischen Härte und Herz, zwischen Angst und Tapferkeit. Diese Gegensätze prägen auch das Feature. Die Macht der Blockältesten über Leben und Tod. Die ganz gewöhnliche Existenz der Insassen aus List, Lügen, Lavieren. Und Theaterspiel, das SS-Leute zum Lachen bringt.
Vorn die Komödie und gleich hinterm Theaterraum die Desinfektionsbaracke mit den Textilien »der erschlagenen Russen«. Als Geschonneck in der Rolle des Ritters an die Rampe tritt, um zu erfragen, wie er mit einem Nebenbuhler umgehen soll, schallt es aus der Häftlingsschar: Töten! Umbringen! Gaudi mit rohesten Reflexen; der Mensch ist überall, wie er ist.
Zwischen den Erzählungen Straßengeräusche, auf Gleisen rollende Räder, das Zischen einer Dampflok, zersplitterndes Glas. Gegenwart und Gedächtnis. »Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben.« Geschonneck lacht. Über diesen Satz, der davon träumt, manche Erfahrungen nicht machen zu müssen. Auch wegen dieses Satzes war das Feature aufs DDR-Eis gelegt worden – das die Last der Lügen eines Tages nicht mehr hielt.