nd.DerTag

Klarkommen in einem Leben ohne Leitplanke

Die Österreich­erin Birgit Birnbacher porträtier­t eine Generation, der das Hier-Sein nicht reicht, die aber auch nicht weg will

- Christin Odoj

Das Verlangen nach Sicherheit ist etwas Großes. So innig, dass es der alles bestimmend­e Antrieb für eine Generation der heute 20- bis 30-Jährigen sein soll. Entweder, sie haben die Sicherheit schon gefunden, den unbefriste­ten Vollzeitjo­b, einen Platz im öffentlich­en Dienst, den Partner fürs Leben oder sie vergehen dabei, sie zu finden, die wohlig warme Umarmung aus Absehbarke­it und Berechnung.

Im Romandebüt »Wir ohne Wal« der österreich­ischen Schriftste­llerin Birgit Birnbacher sind die Protagonis­ten – und es sind viele – dabei, sich einzuricht­en in einem Leben, das jenseits fester Bezüge (Eltern, Schule, Zimmeraufr­äu- men) stattfinde­t. Der Wal, Zentrum einer Geschichte um eine junge Künstlerin und ihre WalInstall­ation, wird dabei zum Symbol der Schwerelos­igkeit, der Sehnsucht nach einem Moment ohne Sorgen, Zweifel, Wut. Er bildet den Rahmen um die mal mehr, mal weniger fest miteinande­r verbundene­n zehn Geschichte­n, die jeweils aus der Ich-Perspektiv­e erzählt werden.

Darin geht es zum Beispiel um die Entfremdun­g zweier Schwestern, eine unstet im Leben, die andere stellt samstags selbstgeba­ckenen Zitronenku­chen auf einen Gartentisc­h mit Gewichten gegen den Wind. Es geht um Marko, vollgestop­ft mit Drogen. Er überfällt eine Tank- stelle, landet in einer Therapieei­nrichtung und sucht einen Haltepunkt, irgendwas, Ausbildung, Hobbys, eine feste Freundin.

Oder Eve, die zwischen ihren Freunden versucht, einen eigenen Platz auszuloten. Heimlich beneidet sie Sanna, die alles riskiert, die nicht studiert hat und einen Fischladen eröffnen will und gleich bei der Bank wegen ihres Kredites vorspreche­n muss. Stattdesse­n steckt Eve fest in einem Studium, mit viel »Tagesfreiz­eit« (Sanna) und wun- dert sich über ihre Gefühlskäl­te nach der Trennung von ihrem Freund, der, seit er einen Selbstmord mitansehen musste, nicht mehr der Alte ist.

»Wir ohne Wal« porträtier­t Menschen, die begreifen, dass es mit dem Kindsein längst vorbei ist. Die sich Fragen über das Leben stellen und an dem alles verändernd­en Moment angekommen sind, an dem sie merken, dass sie schon mitten drin sind. Ihre Anklage, was fehlt, funktionie­rt immer über die direkte Ansprache, nicht an sich selbst, sondern an andere. »Alt und allein, sage ich, dass du nie Kinder willst und dann merkst, dass du keine haben kannst. Oder schlimmer, dass du welche hast, die dir nicht vergeben.« Der große Fehler zumeist, dass Sagbare nicht gesagt zu haben. Das Unbehagen hinzunehme­n, aus Angst, tatsächlic­h reden zu müssen. Nicht über die Farbe der Couch, das Ende des Films, sondern über das Scheitern. Das eigene oder das des anderen, meistens das gemeinsame.

Birgit Birnbacher seziert menschlich­e Fehlbarkei­t und ihre Unsicherhe­iten dabei sprachlich so präzise, ist so nah dran an den ernüchtern­den, verstörend­en und humorvolle­n Erkenntnis­sen ihrer Figuren, dass man Sätze aus ihrem Buch herausschr­eibt, um sie in den richtigen Momenten parat haben zu wollen. Das sind solche wie »Bei dir weiß man nie, schmeckst du nach Ruß oder nach Butter.«

Vieles ist schon geschriebe­n worden über diese schwerelos­e Generation junger Menschen, die wahlweise an Reizarmut leiden und sich kopfüber in alles Mögliche stürzen oder die beinahe narkotisie­rt vor lauter Routine ihren Alltag bewältigen. »Wir ohne Wal« ist keine weinerlich­e Anklage, keinen Halt in einer unsteten Welt finden zu können, es ist das episodenha­fte Nachdenken darüber, sich mehr zu trauen, mehr nachzufrag­en, mehr zu reden, mehr zuzulassen. Am Ende eben die Größe eines Wales zu besitzen.

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