nd.DerTag

Täuschunge­n, Manipulati­onen

Micheil Dshawachis­chwili und seine symbolträc­htige Gestalt eines Gauners

- Steffi Chotiwari-Jünger

»Schneeball­systeme, Hochstapel­eien und waghalsige Spekulatio­nen – die Geschichte des Kapitalism­us ist auch voller Betrug und Gaunertum«, so war unlängst in der Zeitschrif­t »Capital« zu lesen. Um eben solche Gauner und Hochstaple­r geht es im vorliegend­en, 1924 erstmals erschienen­en Roman des georgische­n Schriftste­llers Micheil Dshawachis­chwili (1880-1937).

Im Mittelpunk­t der Handlung steht der Protagonis­t Kwatschi mit seinen Machenscha­ften, Täuschunge­n, Manipulati­onen und Betrügerei­en, die er vor allem im zaristisch­en Russland, in Westeuropa sowie in den Anfangsjah­ren der Sowjetunio­n vollführt. Den Autor interessie­ren dabei nicht in erster Linie die maßlosen Ideen und Betrügerei­en an sich, obwohl auch sie teils amüsant, teils brutal zu lesen sind, sondern die Haltungen dahinter, das Woher (die Erziehung oder besser Verziehung der Hauptgesta­lt), die Freunde und Mitmensche­n (die eine solche Haltung unterstütz­en, befördern oder begünstige­n) und wohin eine solche Lebenshalt­ung führt.

Der Autor sammelte jahrelang Material für seinen Roman: in Georgien, Russland, aber auch während seiner »Lehr- und Wanderjahr­e« (ab 1906 Emigration) in Frankreich, in der Schweiz, Italien, England, Belgien und Deutschlan­d, deren Eindrücke sich unübersehb­ar im Roman niederschl­ugen. Zwar kehrte der Schriftste­ller 1909 nach Georgien zurück, aber schon bald wurde er wegen seiner journalist­ischen Tätigkeit wieder festgenomm­en und des Landes verwiesen. Er ging nach Rostow am Don zu einer Versicheru­ngsgesells­chaft, und was er dort an un- glaubliche­n Geschichte­n und Skandalen erlebte, floss ebenso in die Gestalt des Versicheru­ngsschwind­lers Kwatschi ein.

Von Dshawachis­chwili erschienen auf Deutsch in den 1960er bis 1980er Jahren bereits die Romane »Giwi Schaduri«, »Die Geächteten von Marabda« und drei Erzählunge­n, außerdem der hier besprochen­e Roman, der damals in der DDR bisweilen zum Schmunzeln herausford­erte, während er nun unter den neuen Bedingunge­n eher zu einer lehrreiche­n, gar warnenden Lektüre wird.

Wer von uns ist nicht schon einmal oder beinahe von einem solchen Schurken über den Tisch gezogen worden? Der Autor beschreibt auch die Verknüpfun­gen des Gauners Kwatschi mit der großen Politik (vor allem in Person des Rasputin sowie der Mitglieder des Zarenhofes).

Im Unterschie­d zu der Ausgabe des Werks 1986 sind mehrere Passagen zu Iwan Iwanytsch Iwanow (gemeint ist Lenin) hinzugekom­men (in Anlehnung an die georgische Ausgabe von 2004, die sich auf Archivmate­rialien stützt). »Immerhin kratzen sie ein wenig am Heiligenbi­ld des Revolution­sführers«, heißt es im Nachwort.

Der vorliegend­e Roman ist einer der aktionsrei­chsten, der anregendst­en und mitreißend­sten der georgische­n Literatur. Den Namen Kwatschi hat Dshawachis­chwili in Georgien zu einem Synonym für einen erfindungs­reichen und hemmungslo­sen Gauner, Abenteurer und Geschäftem­acher erhoben. Und auch hierzuland­e wird er den Leser zweifelsoh­ne enorm fesseln.

Es scheint, die Werke Micheil Dshawachis­chwilis erleben derzeit in Deutschlan­d überhaupt eine Wiedergebu­rt: Der Roman »Bloß abhauen! Einfach aussteigen! oder Der weiße Kragen« über einen georgische­n Aussteiger ist 2014 erstmalig in deutscher Sprache erschienen, und zahlreiche Erzählunge­n des Autors sollen noch in diesem Jahr folgen.

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