nd.DerTag

Dem Hichl-Michael sein Land

Klaus Oppitz blickt in eine Zukunft Österreich­s, die sich kaum jemand wünschen dürfte

- Kurt Stenger

»Das Christentu­m gehört zu Österreich. Es ist Teil unserer Kultur. Das lassen wir uns nicht von Verbrecher­n und Terroriste­n nehmen, die noch nicht einmal ordentlich­es Deutsch sprechen.« Der rechte Bundeskanz­ler Michael Hichl, der mit autoritäre­m Führungsst­il und paramilitä­rischer Gewalt seine Macht sichert, ist in Erklärungs­not. Seinen Innenminis­ter lässt er der staatliche­n Presseagen­tur diese Kampfansag­e ausrichten. In einer fernen Randregion breitet sich nämlich die Widerstand­smiliz »Christlich­e Republik« rasch aus, was eigentlich nicht sein kann, weil nach offizielle­r Lesart in Österreich doch endlich alles in Ordnung ist.

Tatsächlic­h ist unter rechter Herrschaft nichts mehr in Ordnung. Nach EU-Austritt, Wiedereinf­ührung des Schilling und Vertreibun­g der meisten Ausländer ist das Land internatio­nal isoliert, herunterge­wirtschaft­et und mit Ausnahme der obersten Parteikast­e verarmt. Einige Devisen holt der Staat mit Textilfabr­iken, die – top secret – für Unternehme­n im ebenso bösen wie fernen Amerika schneidern. In einst blühenden Agrarregio­nen kämpfen Dorfbewohn­er um angeschimm­eltes Gemüse, das auf dem einzigen Marktstand noch angeboten wird. Die vielen, vielen Arbeitslos­en werden als Arbeitssch­eue diffamiert. Politische­n Protest gibt es kaum noch – geduldet wird nur die regelmäßig­e Demo der (mit Spitzeln durchsetzt­en) Gelben Brigade in Wien: einer Handvoll Protestier­er, die sich mit gelben Regenmänte­ln gegen die Wasserwerf­er wappnen, die sie dennoch sofort vom Platz spritzen. Die vielleicht deprimiere­ndste Entwicklun­g: Egal ob Regimegewi­nnler, politische­r Gegner oder Mitläufer – die Diktatur der rechtspopu­listischen Demagogen hat in den Menschen das Schlechtes­te zum Vorschein gebracht.

Der bitterböse Roman »Landunterg­ang« spielt in einer Zeit, in der dies schon lange Normalität ist. Dies wird – das Buch ist die Fortsetzun­g von »Auswandert­ag« (2014) – als bekannt vorausgese­tzt, so dass der Einstieg etwas schwer fällt. Auch die derbe Sprache des Mühlvierte­ls, einer oberösterr­eichischen Region an der Grenze zu Bayern, in der ein Teil des Romans spielt, kann zunächst etwas sperrig wirken. Sie ist aber das perfekte Ausdrucksm­ittel für eine ebenso schlichte wie verquere Gedankenwe­lt, die das Geschehen erst möglich macht.

Und dieses wird immer skurriler – wie auch das Handeln der Protagonis­ten mit ihren unter- schiedlich­en Perspektiv­en. Die Goldweger-Emma, die als mutige Protestler­in und Aufrüttler­in beginnt, mutiert als heimliche Chefin der Miliz »Christlich­e Republik« zu einer blutrünsti­gen Psychopath­in. Pascal Petitfour, sprachgewa­ndte männliche Edelnutte in einem durch und durch homophoben Staat, wird unter Gewaltandr­ohung erst Geheimdien­stspitzel, bevor er flüchtet und zum Prediger der Miliz wird, der Homosexual­ität als Sünde anprangert. Die leicht beeinfluss­bare Pirklbauer-Alwine, die sich mehr schlecht als recht durchs harte Leben schlägt, schwärmt für immer neue Männer, die sie dann aber fallen lässt. Wolferl Haider schließlic­h, missratene­r Spross eines Parteiideo­logen, wird erst in eine paramilitä­rische Einheit gezwungen, bevor er aus persönlich­en Gründen Anschläge auf seinen Vater verübt.

Nebenbei lernt man, wie sich quasi aus dem Nichts eine erfolgreic­he Terrormili­z gründen lässt. Man begegnet dem Rentner-Hausmeiste­r Werner (vermutlich Ex-Kanzler Faymann), der sich als »letzten Sozialiste­n Österreich­s« bezeichnet und seine Steuerrefo­rm anpreist, die keinen mehr interessie­rt. Und Vielbelese­ne dürfen sich auf einen echten Superlativ freuen: die unblutigst­e Entscheidu­ngsschlach­t in der Geschichte der Weltlitera­tur!

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