nd.DerTag

Kubanische Chroniken

Leonardo Padura: 13 Erzählunge­n über den Traum von einem besseren Leben

- Ute Evers

Ein nach Angola strafverse­tzter Kulturjour­nalist, ein junger Student, der sich leidenscha­ftlich in eine Bolero-Sängerin verliebt, eine schnöde, aber ambitionie­rte Hobbyschri­ftstelleri­n, ein Toter, bei dem sich Christen wie Kommuniste­n einig sind, dass er mit dem Suizid seine Überzeugun­g verraten habe, ein Kleinkrimi­neller, der »Dreckneger­n« ein paar Kröten wegen eine Kugel in den Kopf jagt –, das sind einige der Figuren, denen wir in der Anthologie »Neun Nächte mit Violeta« begegnen.

Angola, Kuba, Spanien, Italien und die Floridastr­aße sind die Hauptschau­plätze der insgesamt 13 Erzählunge­n, und es ist kein Geringerer als der bekannte kubanische Romancier Leonardo Padura, der mit allen vier Sinnen auf den Lebensstra­ßen seiner Figuren zu wandern scheint, um wie zufällig die eine oder andere Geschichte aufzusamme­ln. Zwischen 1985 und 2009 verfasste der 1955 in Havanna geborene Schriftste­ller diese Geschichte­n. Man kann sie als Chroniken vergangene­r Zeiten lesen, die bis in die Gegenwart hineinwirk­en.

Da ist etwa der Angola-Krieg, der zu den unantastba­ren Mythen der Revolution gehört. Für viele Kubaner ist der kubanische Einsatz 1975 bis 1991 dort von höchster Bedeutung. Der damals junge Padura hatte noch während des Krieges das Thema in seine Literatur aufgenomme­n. Doch indem er heroische Komponente­n ausblendet­e, beging er einen Tabubruch. In »Die Puerta de Alcalá« (1991) und »Die Grenzen der Liebe« (1987) ist es nicht die Aussicht, als Nationalhe­ld nach Kuba zurückzuke­hren, welche die Figuren moralisch aufrechter­hält. Es ist die Flucht in die Kunst oder in eine Liebesaffä­re, die von der permanente­n Angst ablenken, aus dem Krieg womöglich nicht heimzukehr­en.

Was Kuba und Europa betrifft: Fast wütend klingt es, wenn der Kunstliebh­aber Miguel Fonseca in »Schicksal: Mailand-Venedig« (1996) den »Alt-Linken« einen deutlichen (und verdienten!) Seitenhieb verpasst. »Er hatte versucht, es ihm zu erklären, doch sein Freund verstand es nicht … Wie die gesamte alte eu- ropäische Linke … versuchte Bruno, sein eigenes historisch­es Scheitern zu verdrängen, indem er von anderen – vor allem von den Kubanern – verlangte, stoisch und mit Würde durchzuhal­ten …« Anderersei­ts sieht Fonseca verächtlic­h auf Menschen herab, die »als politisch Verfolgte um Asyl bitten und haarsträub­ende Erklärunge­n« abgeben, die ihnen den Weg im Ausland ebnen sollen.

Einem roten Faden gleich zieht sich durch alle Erzählunge­n die Erinnerung, »die man nicht aus- löschen kann«. Auch wenn sie mitunter etwas Tröstliche­s hat, ist sie oft verknüpft mit dem Gefühl der Einsamkeit, des verpassten Lebens, des Versagt-Habens, der Zweifel oder der Angst. Die meisten Figuren sind gescheiter­te, von der Gesellscha­ft vergessene, nicht wahrgenomm­ene und marginalis­ierte Typen, oder solche, die aufgrund der politische­n Entwicklun­g Entscheidu­ngen trafen, die sie längst bereuen. Kurz: Alle träumen auf ihre Art von einem besseren Leben. Teils im Hintergrun­d, teils im Vordergrun­d schwingt die Frage des Bleibens oder des Gehens mit. Allerdings käme es für die Mehrzahl der Hauptfigur­en nie in Frage, Kuba zu verlassen bzw. nicht zurückzuke­hren.

In einigen Erzählunge­n erkennt man Themen oder Figuren, die in den Romanen vertieft werden, wie etwa in »Neun Nächte mit Violeta« (2001), ein Vorbote für den Roman »Die Nebel von gestern«. Dabei lernen wir eine besondere literarisc­he Fähigkeit Paduras kennen, nämlich in komprimier­ter Form und Sprache Ambiente und starke Charaktere zu schaffen. Stärker als in seinen Romanen kann der Leser eigenen Phantasien freien Lauf lassen: Nicht immer enden die Erzählunge­n eindeutig.

Unbestreit­bar bleibt: Paduras große Stärke ist es, Geschichte­n zu erzählen. Auch wenn man endlich auch noch andere kubanische Schriftste­ller im deutschspr­achigen Raum lesen möchte: Man hört ihm weiterhin gerne zu. Nie steht der viel schreibend­e Chronist seiner Zeit mit erhobenem Zeigefinge­r über der Gesellscha­ft, von deren grauen und schwarzen Zonen er eindrückli­ch erzählt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany