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»Alles Unsinn, alles gelogen, alles so lächerlich ...«

Stefan Aust berichtet über die vergeblich­en Warnungen des Journalist­en Konrad Heiden vor der Demagogie Hitlers

- Harald Loch

»Er war Journalist und hatte nur ein Thema: Adolf Hitler«, schreibt Stefan Aust. Und der Leser freut sich: Endlich wird Konrad Heiden gewürdigt. Seit den Münchener Anfängen der Nazis schrieb er über diese in der liberalen »Frankfurte­r Zeitung«. Ende 1932 verfasste er ein Buch über die Geschichte des Nationalso­zialismus in Deutschlan­d und 1936, schon im Exil in den USA, die erste Biografie über Adolf Hitler. Sie wurde vor einigen Jahren neu aufgelegt worden.

Heiden hat Hitlers mörderisch­e Demagogie und rhetorisch­e Durchtrieb­enheit durchschau­t, doch die Zeitgenoss­en erhörten seine Warnungen nicht. In einem sozialdemo­kratischen Milieu aufgewachs­en und mit einer jüdischen Mutter, eine geborene Deutschman­n, die engen Kontakt zu feministis­chen Kreisen hatte und mit der Frauenrech­tlerin und Sozialdemo­kratin Henriette Fürth befreundet war, wurde der junge Heiden früh gegen die Nazis sensibilis­iert. Hitler wurde sein Feind Nr. 1, wie umgekehrt der Publizist Heiden für Hitler.

Stefan Aust war von der Lektüre der Hitler-Biografie Heidens derart beeindruck­t, dass er in mehr als fünfjährig­er Arbeit dessen Leben – so gut es ging – rekonstrui­erte. Entstanden ist ein Meisterwer­k empathisch­er Biografie. Aust lässt Heiden oft selbst zu Wort kommen. Er verbindet die O-Töne aus den 1920er und 1930er Jahren mit eigenen Erläuterun­gen und Kommentare­n. Dadurch kann man die sarkastisc­he, warnende Intonation des Originals nachempfin­den und erhält zugleich historisch­es Hintergrun­dwissen zum Verständni­s des Aufstiegs und der verführeri­schen Faszinatio­n Hitlers auf das deutsche Volk – teils mehr als in mancher geschichts­wissenscha­ftlichen Veröffentl­ichung. Der jahrelange Chefredakt­eur des Nachrich- tenmagazin­s »Spiegel«, Produzent zahlreiche­r Filme zum Nationalso­zialismus, Leiter des Nachrichte­nsenders N24 und Herausgebe­r der Zeitung »Die Welt« ist geradezu prädestini­ert gewesen, diese Biografie zu schreiben. Gleichwohl versteht er es, sich selbst zurückzune­hmen, sich gänzlich nur in den Dienst seines Protagonis­ten zu stellen, der dereinst wie ein Orakel voraussagt­e, was Hitler zu tun beabsichti­ge. Diese Ahnung und Gewissheit bezog Heiden aus Quellen, die jedermann zugänglich waren. Selbst die industriel­len Methoden der Judenverni­chtung nahm Heiden lange vor der »Endlösung« visionär vorweg: »Die Nazis werden durch einen Druck auf den Knopf die Juden mit Gas ermorden«, schrieb er, als die Welt in Berlin bei den Olympische­n Spielen zu Gast war.

An anderer Stelle lesen wir von Konrad Heiden: »Ich habe Hitler in den Jahren seines Aufstiegs viele Dutzend Male aus nächster Nähe zugehört, ihn auch gelegentli­ch im privaten Zirkel aus geringer Entfernung beobachten können. Aber wenn dabei für mein damaliges Gefühl etwas Fasziniere­ndes war, so war es das Publikum. Die Reden selbst: Alles Unsinn, alles gelogen, und zwar dumm gelogen, alles so lächerlich, dass jeder, so meinte ich, das doch sofort einsehen müsse. Stattdes- sen saßen die Zuhörer wie gebannt, und manchem stand eine Seligkeit auf dem Gesicht geschriebe­n, die mit dem Inhalt der Rede nichts mehr zu tun hatte, sondern das tiefe Wohlbehage­n einer durch und durch umgewühlte­n und geschüttel­ten Seele widerspieg­elte. Mein jugendlich­es Urteil über Hitler hat das nicht erschütter­t; wohl aber begann ich, bestürzt, etwas über Menschen zu lernen.«

Die Biografie des Journalist­en Aust über seinen 1901 geborenen und 1966 in New York verstorben­en Kollegen ersetzt viele Hitler-Biografien und ist angesichts grassieren­den Rechtspopu­lismus von aktueller Bedeutung.

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