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Der Antiheld

Peter Böhm ehrt einen Mann, den alle in der DDR zu kennen glaubten

- Gabriele Oertel

Wie wird er sich manchmal gefühlt haben? Held zwar, doch irgendwie in der Versenkung verschwund­en. Hoch dekoriert, aber nur im auserwählt­en Kreis zu besichtige­n. Bewundert schon, aber vor allem von Schulklass­en. Fest steht, sein Erfolg an der sogenannte­n unsichtbar­en Front wurde Gegenstand von höchst angebunden­en Pressekonf­erenzen und flimmerte später gar als DEFA-Knüller über die Leinwand. Doch der Mensch, der sich hinter dem bis zur Guillaume-Affäre 1974 wohl berühmtest­en Aufklärer der jungen DDR in den 1950er Jahren verbarg, blieb fast fünf Jahrzehnte weithin unbekannt.

Dass Peter Böhm mit seinem Buch »For eyes only – die wahre Geschichte des Agenten Horst Hesse« diese Lücke schließen will, ist aller Ehren wert. Nur, so richtig ist auch ihm das nicht gelungen. Vermutlich, weil er den Mann, den er posthum würdigen will und der seiner Meinung nach nie die ihm angemessen­e Ehrung erfuhr, gar hinter dem Filmhelden verblasste, nie persönlich kennengele­rnt hat.

Nicht, dass es Böhms Buch an Fakten fehlen würde. Die Verwandlun­g des 1922 geborenen gelernten Feinmechan­ikers aus Magdeburg zum Top-Spion in der Würzburger Zentrale des USMilitärg­eheimdiens­tes MID bis hin zu jenem sensatione­llen Panzerschr­ank-Klau inklusive kompletter Agentendat­ei wird minutiös geschilder­t. Die verschiede­nen Etappen im Leben des Horst Hesse auch. Es gibt bislang unveröffen­tlichte Dokumente, verarbeite­te Interviews mit Weggefährt­en und Angehörige­n, noch nicht gezeigte Fotos.

Aber wenig erfährt der Leser vom Innenleben des 2006 in Schwedt verstorben­en Mannes – während seines Einsatzes im Westen, nachdem er 1956 wieder in die DDR zurückgeke­hrt war und insbesonde­re nach 1990, als die Westberlin­er Staatsanwa­ltschaft erfolglos versuchte, Hesse fast 35 Jahre nach seinem Coup doch noch juristisch belangen zu können.

Verständli­ch, dass das Ministeriu­m für Staatssich­erheit in den Jahren bis zum Ende der DDR seine Hände über einen Mann hielt, der nicht nur in den USA in Abwesenhei­t zum Tode verurteilt worden war, sondern mit der überführte­n Datei auch zur Verhaftung von 137 Agenten westlicher Dienste in der DDR seinen Beitrag geleistet hatte. Nachvollzi­ehbar, dass so einer – noch dazu, wenn er selbst eher zurückhalt­end und bescheiden ist – kein sonderlich öffentlich­es Leben führen will. Klar, dass eine solche eher seltene Biografie ihre eigenen Gesetze hat.

Was aber ist in dem Mann vorgegange­n, der vom lange und nicht ganz ungefährli­chen Einsatz zurückgeke­hrt seine Ehe in Trümmern vorfand, wegen seiner Kriegsverl­etzungen mit Mitte 40 Frührentne­r wurde und nach eigener Aussage erst aus der Zeitung erfuhr, dass über ihn ein Film gedreht wurde?

War er, bei aller sozialen Absicherun­g und Ehrung, enttäuscht? Trafen ihn die kalten Geheimdien­stregeln denn doch überrasche­nd? Hat er mit seinem Brötchenge­ber womöglich manchmal heimlich gehadert – insbesonde­re, nachdem ihm für den schnellen propagandi­stischen Erfolg eine noch viel reizvoller­e Spionagepe­rspektive in Florida kurzerhand gestrichen wurde? War es Disziplin oder Selbsttäus­chung, als ihm nach seiner Rückkehr gleich noch ein angeblich ebenfalls aus Würzburg mitgebrach­ter NATO-Angriffspl­an angedichte­t worden war – und er dazu schwieg? Befand er sich niemals im von Günter Guillaume als »doppelte Loyalität« (in dessen Fall zwischen Willy Brandt und dem MfS) umschriebe­nen wenig beneidensw­erten Konflikt zwischen Auftraggeb­er und zeitweilig­en Kollegen, mit denen er sich ganz gut verstanden hatte?

Der Leser des Buches, das mit dem Anspruch antritt, die wahre Geschichte von Horst Hesse zu erzählen, erfährt von all dem leider nichts. Dafür eine Menge über den Kalten Krieg, die Bundesrepu­blik, die DDR, die Methoden beim US-Militärgeh­eimdienst – und über das Zentralorg­an »Neues Deutschlan­d«. Dass der Autor sich über jene Zeitung, der »erkennbar jeder künstleris­che Ehrgeiz« fehlte, bissig lustig macht, sei ihm freilich gegönnt. Nicht aber die kleine Unterlassu­ngssünde, den beim »nd« arbeitende­n Redakteur René Heilig lediglich als »Berliner Journalist­en« zu den Ende 2015 bekanntgew­ordenen US-Angriffspl­änen zu zitieren. Solche Pläne übrigens, die tatsächlic­h schon zu Horst Hesses Zeiten entworfen worden waren, aber von ihm eben nicht im Safe im Kofferraum des Mercedes 190 SL über die deutsch-deutsche Grenze in Helmstedt/Marienborn gebracht wurden.

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