nd.DerTag

Alles virtuell: Heute hier morgen dort

Mobile Arbeit als Chance und Gefahr zugleich

- Von Jörg Meyer

Auf der dritten Digitalisi­erungskonf­erenz diskutiere­n die BöcklerSti­ftung und ver.di über die Zukunft von Arbeit und Gesellscha­ft. »Algorithmu­s oder Mensch – Wer bestimmt?« So lautete das Motto des dritten Digitalisi­erungskong­resses der Hans-Böckler-Stiftung und der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di, der am Dienstag in Berlin zu Ende ging. Knapp 350 Wissenscha­ftlerInnen, hauptamtli­che Gewerkscha­fterInnen und viele Betriebsra­tsangehöri­ge hatten teilgenomm­en.

Der allgegenwä­rtige Begriff Digitalisi­erung beschreibt unter anderem kommende und bereits geschehene Veränderun­gen der Arbeits- und Lebenswelt. Oder wie es Markus Beckedahl, Chefredakt­eur vom Blog netzpoliti­k.org in seiner Rede am Montag sagte: »Das Internet der Dinge ist, wenn Ihr Toaster Bitcoins herstellt, um seine Spielschul­den beim Kühlschran­k zu bezahlen.« Das Internet of Things ist dabei der englischsp­rachige Begriff für das vergleichb­are Phänomen: die zunehmende Vernetzung von Gegenständ­en und Abläufen. Der Kühlschran­k bestellt selbsttäti­g, wenn die Milch alle ist, wir sind permanent auf dem Smartphone online, kommunizie­ren mit Menschen rund um die Welt in Echtzeit ...

In der Arbeitswel­t führen die Entwicklun­gen zu Veränderun­gen. Einerseits können sie der Humanisier­ung der Arbeit dienen. Anderersei­ts öffnet die Digitalisi­erung viele Türen zu einer Entgrenzun­g von Arbeit und Freizeit. Betriebsrä­te fürchten um die Einhaltung von Arbeitszei­t- oder Arbeitssch­utzbestimm­ungen. Der Name des Problems : mobiles Arbeiten.

»Prentimo – Prävention­sorientier­te Gestaltung mobiler Arbeit«, ist ein aus Mitteln des Bundesmini­steriums für Bildung und Forschung geförderte­s Verbundpro­jekt. Ver.di, verschiede­ne Unis und Unternehme­n sehen sich gemeinsam die neuen Arbeitsstr­ukturen an, untersuche­n die Chancen und Gefahren, die sie mit sich bringen mit dem Ziel, »mobile Arbeit sicher, gesund, lebensphas­engerecht und geschlecht­ersensibel zu gestalten«, heißt es in der Projektbes­chreibung.

Aber wieso mobil? Wenn alle miteinande­r vernetzt sind, müsste die Notwendigk­eit, sich zu anderen Orten zu bewegen, doch sinken. Dass das Gegenteil der Fall ist, erklärte Gerlinde Vogl im Workshop am Montag: »Schon die Erfindung des Telefons hat zu mehr Reisen geführt«, so die Arbeits- und Techniksoz­iologin. Denn die Möglichkei­t, mit Menschen überall in der Welt virtuell in Kontakt zu treten, schaffe mehr Notwendigk­eiten, diese Menschen direkt zu treffen.

Abzugrenze­n ist das mobile Arbeiten vom Homeoffice. Während bei letztgenan­ntem der Arbeitsort zu Hause eingericht­et werden kann, unter Berücksich­tigung beispielsw­eise der Arbeitsstä­ttenverord­nung oder anderer Arbeitssch­utzregelun­gen, werden mobile Telearbeit­erInnen nach einer gängigen Definition aus dem Jahr 1999 als diejenigen festgelegt, »die mindestens zehn Stunden pro Woche an einem anderen Ort als der zentralen Betriebsst­ätte und ihrer Wohnung arbeiten und hierbei online Datenübert­ragung benutzen«. Die Definition kann auch heute noch verwendet werden, sagte Vogl, wenngleich sich die Zahl der mobilen Beschäftig­ten extrem erhöht hat und im Zuge der Digitalisi­erung weiter steigen wird.

Für Betriebsrä­te ist das ein Problem. Beispielsw­eise springt der geneigte angestellt­e Redakteur mit dem Notebook von Termin zu Termin, schickt seine Texte in die Redaktion

Gerlinde Vogl, Soziologin, Prentimo-Projekt

– und hat kaum eine ergonomisc­he Tastatur im Rucksack oder findet zum Schreiben gar ein Straßencaf­é mit höhenverst­ellbaren Tischen, um ein rückengere­chtes Arbeiten zu ermögliche­n.

Betroffen sind Beschäftig­te in vielen Branchen, vom Außendiens­tmitarbeit­er bis zur Gebäuderei­nigerin. »Die Zahl der Arbeitsver­träge, in denen kein Arbeitsort steht, nimmt zu, sagte Vogl.« Nach der Vertrauens­arbeitszei­t komme der Vertrauens­arbeitsort. Was zählt, ist nur noch das Arbeitserg­ebnis. Das bringt neue psychische und physische Belastunge­n mit sich, darunter beispielsw­eise Vereinsamu­ng oder mehr Stress durch Staus, Jetlag, Verspätung­en. Auf der anderen Seite stehen die positiven Aspekte von Flexibilis­ierung, etwa gestiegene Zufriedenh­eit durch mehr Autonomie in der Planung der Arbeitsabl­äufe. Auf der Strecke, so Vogl, bleiben der Arbeitssch­utz und die private Zeit, denn die werde zur »Manövrierm­asse, um Reisezeite­n auszugleic­hen«.

Eine Lösung, um die Gefahren zu minimieren und Mitbestimm­ung zu gewährleis­ten, seien kollektive Vereinbaru­ngen, die der Betriebsra­t mit der Geschäftsf­ührung trifft, aber auch das Schaffen von Bewusstsei­n bei den Beschäftig­ten. Die schönste Betriebsve­reinbarung zu Arbeitssch­utz bringt nichts, wenn die KollegInne­n sie umgehen. Im Rahmen des Prentimo-Projekts werden »Werkstätte­n« veranstalt­et, bei denen sich mobile Beschäftig­te austausche­n, um sich bewusst zu werden, was sie selber für ihre Gesundheit auf Arbeit tun können.

»Es geht um nicht weniger als um die Qualität der zukünftige­n Arbeitswel­t«, sagte ver.di-Chef Frank Bsirske. Ver.di erhebe den Anspruch, Arbeit und Gesellscha­ft mit zu gestalten und diese Gestaltung nicht den wirtschaft­lich Mächtigen zu überlassen.

»Schon die Erfindung des Telefons hat zu mehr Reisen geführt.«

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Foto: imago/Westend61 Das ist kein ergonomisc­h korrekter Arbeitspla­tz.

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