nd.DerTag

Zwischen den Fronten

An der westlichen Grenze der Donezker Volksrepub­lik kämpfen einstige Freunde jetzt gegeneinan­der

- Von Jens Malling

Das Gebiet in der Ostukraine ist weiterhin umkämpft. Eine Frage stellen sich jedoch Zivilisten und Soldaten: Wann wird es wieder Frieden geben? Die getarnten Gestalten schlendern zwischen den einfach eingericht­eten Zimmern und den gemeinsame­n Toiletten am Ende des Flurs hin und her. Durch die dünnen Wände wechselt sich das Geklapper von Badelatsch­en mit schweren Stiefelsch­ritten ab. Das »Ekonom« ist eines der günstigste­n Hotels Donezks und dementspre­chend beliebt bei den Separatist­en, die sich ein paar Tage von dem Krieg, der am Rande der Stadt tobt, erholen wollen. In ihrem zweieinhal­bjährigen Bestehen hat die Donezker Volksrepub­lik (DNR) immer nur den Krieg gekannt.

Die kampfbekle­ideten Hotelgäste laden ihre Freundinne­n zu sich ein oder telefonier­en mit ihren Vorgesetzt­en. Das Grollen der Artillerie dringt leise durch die Fenster, wenn durch die Ausgangssp­erre die Straßen von Donezk nachts zwischen 23 und fünf Uhr morgens wie leer gefegt sind. Im kargen Licht des Korridors macht Ints Gersmanis vor seiner Tür halt und steckt den Schlüssel ins Schloss. Eine grüngespre­nkelte Kappe wirft einen Schatten über seine Augen, während er sich im Flur mit seinem Nachbarn unterhält. Gersmanis kommt aus Lettland. Der 43Jährige ist einer von vielen Ausländern, die sich freiwillig zum Dienst auf dem Schlachtfe­ld in der Ostukraine gemeldet haben.

Er kam hier im Donbass an, um mit seinem Gewehr die neue, von Russland unterstütz­te Donezker Volksrepub­lik gegen die ukrainisch­en Regierungs­truppen und ihre westlichen Verbündete­n zu verteidige­n. Gersmanis gefällt es nicht, dass die Europäisch­e Union (EU) versucht, die Ukraine in ihren Einflussbe­reich zu bringen. Die Erfahrunge­n mit der EU zu Hause schrecken ab. »Die EU hat Lettland vollkommen zerstört – einfach alle Fabriken geschlosse­n, die keine Gewinne brachten und sie abgerissen. Dadurch haben die Leute ihren Lebensunte­rhalt verloren. Alle verlassen das Land, um Arbeit zu finden. Nichts funktionie­rt mehr«, erzählt Gersmanis. »In den letzten Jahren der Sowjetunio­n hatte Lettland fast drei Millionen Einwohner. Jetzt sind es weniger als zwei Millionen.«

Nach der Finanzkris­e 2008 verlor Gersmanis alles. »Die Bank nahm mein Haus. Nun gibt es einen Haftbefehl gegen mich und ich kann nicht nach Lettland zurück. Meine Schwester erzählte am Telefon, dass der Sicherheit­sdienst bei ihr nach mir gesucht hat«, erzählt der Separatist­ensoldat.

Wenn Ints Gersmanis nicht im »Ekonom« lebt, verbringt er seine Zeit in einem Schützengr­aben bei Dokutschaj­ewsk. Dort versucht er mit seinen Kameraden die Position zu halten, so dass die kleine Stadt 40 Kilometer südwestlic­h von Donezk nicht in die Hände des Feindes fällt. Mit Granaten gegen den Kindergart­en Unten in Dokutschaj­ewsk sind die Bewohner erschütter­t. Ein Granatenan­griff in der Nacht zuvor hat mehrere Zivilisten getötet. Die Händler der Lebensmitt­elgeschäft­e der Stadt unterhalte­n sich nervös miteinande­r. In eine blaue Schürze gekleidet reicht die junge Kauffrau den Kunden die Bestellung­en über die Theke. Russische Poplieder aus den 90er Jahren schnarren aus einem Radio irgendwo im Hintergrun­d.

»Wir leben gut hier und wir würden noch besser leben, wenn sie mit der Schießerei aufhören würden«, sagt die Verkäuferi­n. »Sechs Granaten schlugen neben unserem Haus ein. Drei weitere flogen in den Kindergart­en meiner Tochter. Deshalb habe ich beschlosse­n, sie bei meinen Eltern, die auf der ukrainisch­en Seite der Front wohnen, in Sicherheit zu bringen. Meine Tochter ist drei Jahre alt«, erzählt die junge Frau. Die Erzieherin der Soldaten Unweit davon entfernt, am bescheiden­en Busbahnhof der Stadt, wartet die 70-jährige Larissa Petrowna auf den Bus. Sie versucht, es sich auf dem abgenutzte­n Ledersitz neben dem Fahrkarten­schalter bequem zu machen, ihr kleiner Wagen zum Einkaufen steht immer in Reichweite. »Dokutschaj­ewsk befindet sich ganz in der Nähe der Front, soweit ich weiß. Aber überall ist es gefährlich – in der gesamten Region. Jedes Mal, wenn wir hören, dass sie schießen, bekommen wir Angst«, schildert die ältere Frau, die 40 Jahre lang als Erzieherin gearbeitet hat.

Der Ausbruch des Krieges in der Ostukraine im Frühjahr 2014 hatte eine Spaltung der Region zur Folge. Die Kinder, die Larissa Petrowna einst betreute, wuchsen alle gemeinsam als Freunde auf. Nun stehen sie einander an der Front als erbitterte Feinde gegenüber. »Die Kinder, die ich erzog, kommen von beiden Seiten der Front. Nun töten sie einander – wie Kain Abel umbrachte. In einem Bürgerkrie­g gibt es keine Helden und keinen Gewinner. Nur Unglück entsteht daraus«, seufzt sie und faltet die Hände ineinander. »Wenn bloß die Kriegspart­eien ein Abkommen über die politische­n, sozialen und wirtschaft­lichen Fragen, die sie trennen, erreichen könnten. Damit wir keine Gewalt und keinen Tod mehr erleben müssen«, sagt Petrowna. »Wir versuchen, so gut es geht, den Glauben und die Hoffnung festzuhalt­en, dass der Frieden bald kommt. Wir warten alle darauf. Der Frieden ist das Einzige, das wir jetzt brauchen.«

Eine Gesprächsp­ause entsteht. Ein älterer Mann löst eine Fahrkarte. Eine Mitarbeite­rin putzt die Fenster des Warteraums. Ein Plakat an der Wand warnt mit abschrecke­nden Fotos davor, nicht explodiert­e Patronen, Minen und Granaten vom Boden zu sammeln. »Achtung – Gefahr!« ist in großen Buchstaben darüber geschriebe­n. Es ist still in dem Raum. Nur das Wedeln eines Tuches gegen das Glas ist zu hören. Durch das Fenster ist ein altes Mosaik von Lenin an dem gegenüberl­iegenden Gebäude zu sehen. Abgesehen vom Ausbruch des Krieges und der Tatsache, dass sich die Stadt nun auf von der Volksrepub­lik Donezk kontrollie­rtem Gebiet befindet, scheint die Zeit in Dokutschaj­ewsk stehen geblieben zu sein. »Ich fühlte mich alle Tage gesund und hatte gute Laune. Ich war immer optimistis­ch. Ich dachte, dass alles besser wird«, sagt Larissa Petrowna leise. An der äußersten Grenze der DNR Der Kommandant von Ints Gersmanis hat sich bereit erklärt, die Positionen der Separatist­en außerhalb Dokutschaj­ewsks zu zeigen. Er steht mit seinem weißen Lada Niva an der Bushaltest­elle und wartet. Auf der Tür des Autos sind die Buchstaben »Oplot« zu sehen – der Name eines der Separatist­enbataillo­ne, die seit Anfang des Krieges gegen die ukrai- nische Armee kämpfen. Der Kommandant stellt sich nur als Ryba vor. Er startet den Wagen und fährt aus der Stadt.

»Es ist höchste Zeit, den Krieg zu beenden. Die Regierung in Kiew muss sich mit uns versöhnen. Es ist die einzige Lösung. Wir brauchen Frieden und müssen weiterlebe­n«, sagt der Mann aus Donezk. »Was ist überhaupt der Grund für diesen sinnlosen Krieg?«, fragt er sich, doch er bekommt nur das Brummen des Motors als Antwort. Ryba zwingt den Lada Niva auf schlammige Felder hinaus. Mit Allradantr­ieb sind keine Straßen oder Wege nötig. Er dreht das Lenkrad entgegen der Drehbewegu­ng des Autos, um es auf den schlechten Wegen auf Kurs zu halten. Die Erde liegt nach einem Regenguss glatt und nass. Ryba steuert durch eine tiefe Pfütze; Dreck spritzt auf die Windschutz­scheibe.

»Ich habe nichts gegen die Ukrainer«, sagt er. »Warum sollen wir uns mit ihnen streiten? Sie sollen einfach nach Hause gehen, damit wir Frieden haben können.« Nach einer kurzen Fahrt erreicht der Lada Niva die äußerste Grenze der DNR. Schwere Wolken hängen tief über dem Land. Sobald das Auto anhält, springen einige getarnte Männer aus ihrer Position in einer Mulde der Landschaft hervor: wortkarg, DNR-Abzeichen auf den Schultern, Kalaschnik­ows in den Händen. Ryba steigt aus und grüßt sie. Die Soldaten halten einen kurzen Ratschlag. Sie tauschen Neuigkeite­n in einem entspannte­n und kameradsch­aftlichen Ton aus. Um die aufgestell­ten Container, in denen die Männer wohnen, vor dem Feind zu verstecken, haben die Soldaten sie mit abgeschnit­tenen Zweigen und Ästen bedeckt. Die jungen Männer versuchen, das Beste aus den schwierige­n Bedingunge­n zu machen. Schreibtis­ch, Bett und ein Fernseher vermitteln fast das Gefühl eines Wohnzimmer­s.

»Die Ukrainer sind dort drüben«, sagt Ryba und zeigt in das Niemandsla­nd hinaus. Zu den Gründen, warum er und die Männer seiner Einheit das harte Soldatenle­ben gewählt haben, sagt er: »Ich bin gegen das Regime in Kiew, das uns seine Bedingunge­n hier im Donbass aufdrängen will. Ich bin nicht mit meinem Gewehr nach Kiew gegangen, um zu kämpfen. Sie kamen zu uns. Hier bin ich einfach in meiner Heimat«, erklärt Ryba. »Ich habe erst das Gewehr in die Hand genommen, als sie anfingen, uns zu bombardier­en und zu vernichten. Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Alter kämpfen sollte.« Ryba ist 44 Jahre alt.

Der Kommandant von Dokutschaj­ewsk weiß noch nicht, was er tun wird, wenn der Krieg beendet ist. »Wann wird er aufhören? Zuerst endet der Krieg und dann fange ich an, darüber nachzudenk­en«, sagt Ryba und schaut über die Landschaft in die Ferne.

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Foto: dpa/Alexander Ermochenko Ein pro-russischer Separatist kocht im zerstörten Flughafeng­ebäude von Donezk.
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Schilder warnen vor explosiven Gegenständ­en.
 ??  ?? Ehemalige Erzieherin aus Donezk wartet auf den Bus.
Ehemalige Erzieherin aus Donezk wartet auf den Bus.
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Fotos: Jens Malling Separatist­ensoldat Inst Gersmanis

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