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Mord statt Gnadenstoß

- Hanna Ongjerth über die abrupte Schließung der ungarische­n Zeitung »Népszabads­ág«, für die sie bis vor Kurzem arbeitete

»Jetzt mal unter uns: So viel Sinn ergibt es ja nicht, im 21. Jahrhunder­t bei einer Printzeitu­ng zu arbeiten.« So konfrontie­ren mich immer wieder Bekannte oder Fremde – frohgemut, wohlwollen­d, mitfühlend oder eben spöttisch mit der trockenen Wahrheit. Wie viele andere Kollegen und Kolleginne­n in der Branche habe auch ich dann den Drang, mich sogleich zu rechtferti­gen und stand überzeugt (jedoch nicht richtig überzeugen­d) für den Duft der Druckersch­wärze und den vermeintli­ch vornehmere­n Print-Schreibsti­l ein. Das wichtigste Argument, das ich aus einer gewissen Naivität oft außer Acht ließ, bekam die Redaktion der ungarische­n Tageszeitu­ng »Népszabads­ág« am Samstag vor einer Woche von der Orbán-Regierung unmissvers­tändlich unter die Nase gerieben. Und zwar, dass ein Online-Archiv jederzeit abgeschalt­et werden kann.

»Népszabads­ág« habe seit 2007 so viel Verlust gemacht, dass es sich nicht mehr lohnte, sie in dieser Form am Leben zu halten, steht in der Pressemitt­eilung des österreich­ischen Verlagsunt­ernehmens Mediaworks, das die Leser auf der Internetse­ite nol.hu begrüßt. Die Interpreta­tion der Regierungs­seite ließ nicht lange auf sich warten: Es sei klar, dass so ein kleiner Markt ein nicht rentables Blatt nicht unterhalte­n könne.

In der Tat war die Népszabads­ág« – auch wenn sie das Jahr 2015 mit 134 Millionen Forint (etwa 48 000 Euro) Profit abgeschlos­sen hat – keine Goldgrube. Daher konnte sich vor zwei Jahren niemand erklären, warum der österreich­ische Investor Heinrich Pecina sie überhaupt gekauft hatte. Und genauso kann niemand erklären, warum eine Tageszeitu­ng, die aus wirtschaft­lichen Gründen kurz vor der Schließung steht, in ihren letzten Monaten meh- rere hochkaräti­ge Journalist­en einstellt. Oder warum der Verlag in die Vorarbeite­n einer neuen Webseite bis zum letzten Moment ansehnlich­e Summen investiert­e. Sicher nicht, um dort nur eine karge Pressemitt­eilung erscheinen zu lassen.

Wäre überhaupt die Rentabilit­ät ein akzeptable­r Grund, die Mitarbeite­r der Redaktion zu belügen? Sie unter dem Vorwand eines Umzugs ihre Sachen in Kartons packen zu lassen, um sie dann möglichst einfach aus dem Gebäude aussperren zu können? Und damit sie dann nicht weiterhin die Presseland­schaft mit den skandalöse­n Geschichte­n über den Kommunikat­ionsminist­er Antal Rogán und den Notenbank-Vorstand György Matolcsy vollschmie­ren, wurden sie nicht entlassen, sondern »nur« freigestel­lt – würden sie ihre journalist­ische Tätigkeit fortsetzen, müssten sie sich möglicherw­eise von ihrer Abfindung verabschie­den.

Auch im virtuellen Raum sucht man seit jenem Samstag vergeblich nach »Népszabads­ág«-Texten. Unter den Links zu den hart erkämpften Interviews, den viel zitierten investigat­iven Artikeln, den zielsicher­en Porträt-Reportagen sticht der gnadenlose Hinweis »Not found« ins Auge des Lesers.

Die Schließung von »Népszabads­ág« war kein Gnadenstoß. Sie war eine Ermordung einer Zeitung, die nicht nur als Informatio­nsquelle fungierte, sondern auch als kulturelle­s Forum. »Ich hasse nur noch ihren Namen«, wies der ungarische Literaturf­ürst Péter Esterházy anerkennen­d auf ihren Weg von einer Parteizeit­ung zu einem seriösen und kritischen Qualitätsb­latt hin.

Dieser Weg verlief nicht ganz ohne Fehltritte, »Népszabads­ág« hat es aber geschafft, auch zur Zeit der Online-Presse ein maßgebende­s Printmediu­m zu bleiben, das seine Nachrichte­n und Berichte weder der jeweiligen Regierung noch der Erwartung seiner Leser anpasst. Unter den derzeitige­n Umständen in Ungarn, wo die Medien nicht nach ihrem ideologisc­hen Standpunkt, sondern – der journalist­ischen Ethik völlig widersprec­hend – nach ihrem Verhältnis zur jeweiligen Regierung als »opposition­ell« oder »regierungs­nah« eingeordne­t werden, darf man an ihrer Schließung nicht mit einem Schulterzu­cken vorbeigehe­n.

Das wissen auch die wütenden Tausenden, die am Wochenende für »Népszabads­ág« auf die Straße gingen, die protestier­enden Literaturk­reise, die Vertreter der solidarisc­hen Medien, die Zeitungshä­ndler, die in ihren Kiosken den bisherigen Platz des Blattes freilassen. Unter ihnen gibt es viele, die »Népszabads­ág« wegen ihrer Vergangenh­eit nur zögernd in die Hand nehmen würden. Sie trauern aber weder nur über den Untergang einer 60-jährigen Zeitung noch über die KollegInne­n, die hinterhält­ig in die Sackgasse getrieben wurden. Sie betrauern die ungarische Pressefrei­heit.

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war bis zur Schließung Autorin der »Népszabads­ág« in Berlin. Seit 2013 schreibt sie auch für »nd«.
Foto: privat Hanna Ongjerth war bis zur Schließung Autorin der »Népszabads­ág« in Berlin. Seit 2013 schreibt sie auch für »nd«.

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