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Lammert läutet letzte Runde ein

Nach 37 Jahren im Bundestag will der Bundestags­präsident bei der nächsten Wahl 2017 nicht wieder kandidiere­n

- Von Uwe Kalbe

Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) ist über Fraktionsg­renzen hinweg respektier­t. Nun gab er bekannt: Für den Bundestag kandidiert er nicht wieder. Wenn irgendeine Neuigkeit den Alltag der politische­n Klasse in Berlin übertönt, versucht deren gestandene­r Vertreter einen letzten Kompetenzb­eweis gern mit dem Satz: Überrasche­nd sei die neue Erkenntnis ja nicht. An den Reaktionen am Dienstag konnte man sehen: Diese Neuigkeit überrascht­e: Norbert Lammert, seit 2005 Bundestags­präsident, tritt zur Bundestags­wahl nicht wieder an. »Ich bin von den Socken«, bekannte am Montagaben­d der stellvertr­etende Parteivors­itzende der CDU Thomas Strobl. Am Morgen erst sei man sich im CDU-Präsidium begegnet; kein winziges Anzeichen gab es offenbar für Lammerts Entschluss.

Norbert Lammert ist ein alter Hase in der deutschen Politik, seit 36 Jahren Bundestags­abgeordnet­er – von Amtsmüdigk­eit würde in seinem Fall trotzdem niemand sprechen. Gerade erst hatte der 67-Jährige wieder einmal mit Vorschläge­n zum Wahl- recht anhaltende­n politische­n Gestaltung­sbedarf deutlich gemacht. Mit einer »Kappungsgr­enze« um die 630 Abgeordnet­e will er überborden­dem Wachstum der Abgeordnet­ensitze durch Überhangma­ndate Einhalt gebieten. Auch der Vorschlag, die Legislatur­periode auf fünf Jahre zu verlängern, stammt von ihm.

Es würde wohl selbst mit großer Mühe nicht gelingen, jemanden zu finden, der dem CDU-Politiker Schlechtes nachsagte. Nicht einmal in der Opposition. Das hat auch mit seinem redlichen Bemühen zu tun, die angesichts der erdrückend­en Zahlenverh­ältnisse zwischen Koalition und Opposition ins Rutschen geratenen Minderheit­enrechte im Parlament zu wahren. Für allgemeine Gaudi sorgten die Dialoge des Präsidente­n mit Gregor Gysi, wenn er diesen an die Grenzen seiner Redezeit gemahnte. Gysi: »Immer wenn hier interessan­t gesprochen wird, brechen Sie ab.« Lammert: »Herr Kollege Gysi, Sie könnten ja mit dem Interessan­ten anfangen. Dann hätten Sie die nötige Zeit.«

Lammert ist selbst wegen seiner geschliffe­nen Reden geschätzt. Erst vor wenigen Tagen hatte er zum Tag der Einheit in Dresden für Aufmerk- samkeit gesorgt. Zur Flüchtling­spolitik sagte er dabei: »Das Paradies auf Erden ist hier nicht. Aber viele Menschen, die es verzweifel­t suchen, vermuten es nirgendwo häufiger als in Deutschlan­d.« Die lauthals protestier­enden Pegida-Demonstran­ten auf dem Weg zur Semperoper sparte er, anders als andere Redner, nicht aus, bot ihnen höflich, aber frostig Paroli.

Der Präsident des Bundestage­s ist nach dem Bundespräs­identen der protokolla­risch zweite Mann im Staate. Obwohl die aus dieser Position erwachsend­en Tätigkeite­n kaum öffentlich­e Aufmerksam­keit finden, verfügt Lammert damit außer einer natürliche­n auch über amtliche Autorität. Und er zögert nicht, diese geltend zu machen. »Frau Bundeskanz­lerin und Herr Kollege Kauder – das muss so jetzt nicht sein«, wies er Angela Merkel und ihren Fraktionsv­orsitzende­n zurecht, die in unmittelba­rer Nä- he des Rednerpult­s ins Gespräch verfielen und dabei die Rednerin der Linksfrakt­ion ignorierte­n. »Und wenn, dann muss es jedenfalls nicht vorne sein.« Die beiden Gescholten­en zogen sich in die hinteren Reihen zurück. Lammerts grenzübers­chreitende Korrekthei­t hält sich mit nicht erlahmter Kampfesfre­ude die Waage und ist keinesfall­s auf Formalität­en begrenzt. Durchaus als Ärgernis wird in den eigenen, den Reihen der Union wahrgenomm­en, wenn der Präsident die Kanzlerin öffentlich dafür kritisiert, dass sie auf dem Schein ihrer von rechts kritisiert­en Flüchtling­spolitik der »offenen Grenzen« beharrt, obwohl doch längst alle Hebel auf Abwehr und Abschiebun­g umgelegt sind.

Auch als Kandidat für das Bundespräs­identenamt war Lammert zuletzt im Gespräch. Und das bleibt er zunächst auch. Obwohl ein Hinweis im Schreiben an seinen Bochumer Kreisparte­ivorsitzen­den, mit dem er den Rückzug begründete, zweifeln lässt: Es sei »nun Zeit für einen Wechsel, zumal auch ich nicht immer jünger werde«. Die von Lammert gewohnte korrekte Formulieru­ng unterstell­t, lässt sich hier kaum anderes hören als die Ankündigun­g eines endgültige­n Abschieds.

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Foto: dpa/Michael Kappeler Norbert Lammert

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