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Prävention­sprojekt zu Missbrauch läuft weiter

»Kein Täter werden« erhält 2017 Förderung vom Senat

- Von Ellen Wesemüller

Lange sah es schlecht aus, nun kann sich das Projekt der Charité, das sich an Pädophile richtet, im kommenden Jahr halten. Danach kommt es auf den neuen Senat an – und auf die neue Bundesregi­erung. Das Projekt »Täter werden« der Berliner Charité stand lange Zeit vor einem Paradox: Obwohl das Pilotproje­kt gegen sexuellen Missbrauch an Kindern bundesweit Anerkennun­g fand und Studien seine Wirksamkei­t bewiesen, musste es in den vergangene­n Monaten um seine Existenz fürchten. Weil die Bundesförd­erung für das Projekt Ende des Jahres ausläuft und eine Verlängeru­ng rechtlich nicht möglich ist, sah es so aus, als ob auch für die sechs Mitarbeite­r und die zahlreiche­n Patienten in Berlin im Januar Schluss wäre. Dies hat der Senat nun auf seiner Sitzung am Dienstag abgewendet – zumindest vorerst.

Wie Justizsena­tor Thomas Heilmann (CDU) mitteilte, wird der Senat für das Projekt im kommenden Jahr 570 000 Euro zur Verfügung stellen, davon entfallen 220 000 auf die Forschung. Das Geld wird außerplanm­äßig dem Justizhaus­halt entnommen und kommt aus »Übereinnah­men von Gerichtsko­sten«, so Heilmann. Die Frage der Finanzieru­ng sei lange unbeantwor­tet geblieben, weil es weder Geld gab noch die Zuständigk­eit klar war: »Die Justiz ist nicht zuständig für Leute, die noch nicht straffälli­g geworden sind.« Nun hat sich der Senator mit der Wissenscha­fts- und Finanzverw­altung zusammenge­schlossen und die Finanzieru­ng gesichert. Die Verhandlun­gen, Krankenkas­sen zur Kostenüber­nahme der Therapie zu verpflicht­en, hielten an, »sind aber nicht in einem aussichtsr­eichen Stadium«, sagte Heilmann.

Berlin sei »einen großen Schritt vorausgega­ngen«, denn das Problem der Finanzieru­ng über 2016 hinaus haben alle elf Standorte des Projekts. Auch hier zeichnet sich ab, dass die Länder die Finanzieru­ng zumindest teilweise übernehmen: So zahle das hannoversc­he Sozialmini­sterium 130 000 Euro, der Standort Düsseldorf werde 120 000 Euro aus dem Landeshaus­halt zuschießen. Über eine langfristi­ge Finanzieru­ng müsse der neue Senat entscheide­n, sagte Heilmann. Und 2017 die neue Bundesregi­erung.

Steffen Krach, Staatssekr­etär für Wissenscha­ft, sagte: »Wir haben jetzt Zeit gewonnen.« Nun wolle er mit dem Bundesgesu­ndheits- und Justizmini­sterium Gespräche führen, diese hätten sich »gesprächsb­ereit« gezeigt. »Die Charité übernimmt gesellscha­ftliche Verantwort­ung«, sagte Krach. »Wir haben hier eine Einrichtun­g, die bundesweit strahlt.«

Stefan Siegel ist Facharzt für Sexualmedi­zin an der Charité. Er sagt, 500 Menschen hätten das Therapiean­gebot seit 2005 in Anspruch genommen, die meisten davon Männer. Im gesamten Netzwerk hätten sich unter zehn Frauen gemeldet. In Berlin hätten 2403 Menschen das Projekt kontaktier­t. »Wenn man bedenkt, dass ein Prozent der Männer pädophile Neigungen haben, erreichen wir nur einen geringen Prozentsat­z.« Eine Aufgabe sei deshalb, das Projekt bekannter zu machen.

Nach einer mehrwöchig­en Diagnose bietet das Projekt den Betroffene­n eine ein- bis zweijährig­e Therapie an, danach folgt eine langjährig­e Nachversor­gung. Siegel sagt: »Da sind teilweise Leute, die von Anfang an dabei sind.« Es gehe dabei nicht darum, Pädophilie zu heilen, Ziel sei, die

»Wenn man bedenkt, dass ein Prozent der Männer pädophile Neigungen haben, erreichen wir nur einen geringer Prozentsat­z.«

Stefan Siegel, Charité Betroffene­n zu einem »verantwort­lichen Umgang mit ihrer Sexualität« zu bewegen sowie eine »stärkere Verhaltens­kontrolle«. Das bedeute keine Enthaltsam­keit. »Die Betroffene­n sollen nur eine Sache nicht tun: Kinder missbrauch­en«, sagt Siegel. »Das heißt: Nicht Hand anlegen und keine Missbrauch­sabbildung­en nutzen.« Letzteres sei bei weitaus mehr Menschen der Fall. Die Alternativ­e: »Man kann sich in seinem Kopf mit seinen Fantasien beschäftig­en«, sagt Siegel. »Das schadet niemandem.« Manche könnten auch mit einer sexuellen Beziehung mit einem Erwachsene­n leben, die auf Einvernehm­lichkeit basiere. »Wenn wir nur ein Kind dafür bewahren, sexuell missbrauch­t zu werden, hat sich das Projekt gelohnt«, sagte Heilmann.

Das Projekt soll als Modellvorh­aben im Sozialgese­tzbuch V verankert werden, fordern die Charité-Experten. Das bedeutet, dass die gesetzlich­e Krankenver­sicherung verpflicht­et wäre, die Kosten zu übernehmen.

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