Liebesgeschichten aus der DaDaeR
Zum fünften Mal finden die Wolfener Filmtage statt – diesmal mit »letzten Filmen der DEFA«
Liebesgeschichten und Stars ziehen immer«, sagte mir eine Frau aus Wolfen, als ich sie fragte, ob sie auch dieses Jahr wieder die Wolfener Filmtagen besucht. Zum fünften Mal veranstaltet das Industrie- und Filmmuseum Wolfen seine Schau mit DEFA-Filmen. Es zeigt sieben »letzte Filme der DEFA«, also Filme, die zum Ende der DDR und der DEFA entstanden sind. Bekanntlich macht in kleinen Kinos jenseits der Multiplexe die Kombination von Filmvorführung und anschließenden Gesprächen mit den Stars einen Hauptgrund für Zuschauerandrang aus.
Als die angekündigten Filme 1990/91 in die Kinos kamen, fanden sie wenig Aufmerksamkeit beim Publikum. Damals hatten die DDR-Zuschauer andere Sorgen, als ins Kino zu gehen. Umso wichtiger findet es Veranstalter Paul Werner Wagner – im Einvernehmen mit dem Mitveranstalter »neues deutschland« –, diese Filme heute zu zeigen. Sie erzählen Geschichten aus einer anderen Zeit. Mit ihnen kann man der Endzeit der DDR ins Gesicht sehen.
Und es sind Liebesgeschichten. In Frank Beyers »Der Verdacht« steht die heftige Liebe zwischen Frank und Kathrin einer Lebensbedrohung gegenüber. Aber das Mädchen entscheidet sich schließlich gegen Eltern und DDRKarriere und für ihren Liebsten. Die Rigorosität der Fabelzuspitzung und die Entschlossenheit der beiden, ihre Liebe wirklich zu leben, beeindrucken noch heute (Volker Brauns Novelle »Unvollendete Geschichte«, nach der der Film entstand, hatte schon Mitte der 1980er Jahre beim Vorabdruck in »Sinn und Form« Aufsehen und Ärger provoziert).
Einen Quasi-Gegenentwurf bietet Hermann Zschoche in »Das Mädchen aus dem Fahrstuhl« (nach einem Buch von Gabriele Herzog): auch hier eine frühe Liebe voller Zartheit und Sehnsucht, die freilich am Karrierismus des Jungen scheitert. Auch in Jürgen Brauers »Tanz auf der Kippe« (nach einem Buch des sorbischen Schriftstellers Jurij Koch) gibt es eine Liebe: zwischen dem Jungen Gerat und Claudia, seiner Lehrerin und verheiratet. Aber Gerat scheitert. Und Siegfried Kühn gestaltet eine besondere Liebe: die zwischen drei Schwestern (von Charlotte Worgitzky dem Tschechow-Stück von »Drei Schwestern« nachempfunden). Sein Film »Heute sterben immer nur die anderen« bil- det zugleich einen Diskussionsbeitrag zum auch in der DDR lange tabuisierten Thema der Sterbehilfe.
Schließlich zwei Film-Experimente: »Das Land hinter dem Regenbogen«, mit dem Herwig Kipping bei der DEFA debütierte, entwirft eine anarchische Geschichte von einem wildgewordenen Utopie-Großvater in den 1950er Jahren, voller Allegorien und sarkastischer Anspielungen auf Ver- gangenes. Der Film »Letztes aus der DaDaeR« (Regie Jörg Foth) adaptierte zwei Bühnenprogramme der Kabarettisten Steffen Mensching und Hans-Eckardt Wenzel, die derzeit mit ihren Kunstfiguren Meh und Weh und neuem Programm im Lande unterwegs sind. Ihre Kabarettrevue mischt viel Ironisches mit Clowneskem und steckt voller bitterer Anzüglichkeiten, die bis heute nichts an Biss verloren haben (Zuckerstückchen für Genießer: in Miniszenen sieht man den Schriftsteller Christoph Hein als Müllmann tatsächlich auf einer riesigen Halde und »Täve« Schur als Postboten mit obligatem Fahrrad).
Und noch ein Spiel im Spiel: Der Film »Banale Tage« von Peter Welz nach einem Roman von Michael Sollorz mischt Szenenräume und Figuren lebhaft durcheinander und umspielt eine eigentlich simple Figurenkonstellation um einen Dramaturgensohn und einen Lehrling, die mit Trotz und jugendlichen Mut ihr Lebensumfeld verändern wollen. Hier scheint Castorfs frühe VolksbühnenÄsthetik durch.
Über die sehr subjektive Auswahl der Filme kann man gewiss streiten, Wagner hat die mindestens ebenso aufregenden DEFA-Dokumentarfilme jener Zeit völlig ausgelassen. Auf jeden Fall sieht man Regie- und Schauspielkunst und bestechende Kameraarbeit von hohen Graden. Und von fern her weht immer noch die leise Utopie der Wendezeit, es könne noch etwas mehr geben als Ende, Trümmer und Chaos. 5. Wolfener Filmtage, 19. bis 23.10.; ifm-wolfen.de