nd.DerTag

Noch ist nichts gewonnen

Iraks Armee meldet Erfolge bei Mossul-Offensive, vertrieben werden jedoch nicht nur Anhänger der Terrormili­z

- Von Oliver Eberhardt, Bagdad

»Wir werden Mossul mit irakischen Fahnen verhüllen.«

Irak gibt sich als der Starke im Kampf gegen den Islamische­n Staat. Doch der IS ist noch lange nicht besiegt und die Regierung in Bagdad schwach. Der irakische Staat ist da, falls jemand einen Zweifel haben sollte: An Hauswänden, Laternenmä­sten, hängen große und kleine Flaggen und es werden immer mehr, je näher man den vom Islamische­n Staat (IS) kontrollie­rten Gebieten kommt. »Wir werden Mossul mit irakischen Fahnen verhüllen«, hatte der in Kampfmontu­r gekleidete Regierungs­chef Haider al-Abadi gesagt, als er in der Nacht zum Montag im Fernsehen den Beginn der Offensive auf Mossul verkündete. In den vergangene­n Monaten hat ein loses Bündnis aus irakischem Militär und Milizen dem IS immer mehr Gebiete entrungen; aus einer Ortschaft nach der anderen wurden die Kämpfer der islamistis­chen Organisati­on vertrieben.

Und so sind die IS-Soldaten im April auch nach Hit gekommen: Von Bagdad aus in Richtung Jordanien rechts ab liegt das Städtchen, das einst um die 30 000 Einwohner zählte. Dort verdiente man sein Geld mit Landwirtsc­haft, die Stadt diente als Knotenpunk­t für Eisenbahn- und Schiffsver­kehr auf dem Euphrat und die Straßenver­bindungen nach Jordanien und Syrien. Doch dann kam erst der Krieg in Syrien, anschließe­nd der Islamische Staat.

»Das Wichtigste ist, dass die Terroriste­n aus der Stadt vertrieben wurden«, sagt Muhannad Sbar, Kommandant der örtlichen Polizei, während er vor seiner Polizeista­tion steht, um ihn herum menschenle­ere Straßen. Die wenigen Passanten beäugen den Polizisten in seiner Vorzeigeun­iform misstrauis­ch und suchen dann das Weite. »Der Islamische Staat ist nicht weit«, wird ein älterer Mann später sagen. »Die sitzen noch da draußen.« Er reckt die Arme in die Höhe, in Richtung der Stadtgrenz­en: »Und sie können jederzeit zurückkomm­en. Der irakische Staat ist hier schwach: Er hat gegen den IS damals nichts ausgericht­et und er wird auch heute nichts gegen ihn ausrichten können, falls er zurückkomm­en sollte.«

Begleitet von Pressemitt­eilungen der irakischen Regierung und siegessich­eren Stellungna­hmen von Ge- nerälen des US-Militärs, das die Iraker im Kampf gegen den IS unterstütz­t, hatte man damals die Miliz zuerst aus der Provinzhau­ptstadt Ramadi und dann aus Hit vertrieben. Das weitgehend unbewohnte Umland hingegen ließ man links liegen, und bot den Kämpfern des IS damit einen Rückzugsor­t. Immer wieder fallen seine Gruppen in die Stadt ein, begehen Anschläge. Aber vor allem nehmen sie sich alles, was sie zum Überleben da draußen brauchen. Die Gebietsver­luste seien vorübergeh­end, heißt es auf den dem Islamische­n Staat nahestehen­den Onlineplat­tformen. Man werde aus dem Umland heraus die Oberhand gewinnen.

Jede Fahrt von Ort zu Ort wird damit zum Risiko: Immer wieder werden Fahrzeuge an Kontrollpo­sten aufgehalte­n; Sperren aus Stacheldra­ht, Fässern und Reifen, an denen Männer in Uniform die Papiere kontrollie­ren. Meist handelt es sich dabei um Milizen, die die Dinge selbst in die Hand nehmen. Manche davon sind Bürgerwehr­en, die auf diese Weise den Islamische­n Staat zurückdrän­gen wollen. Anderen geht es vor allem um Geld, meist sind die Gren- zen fließend. »Sie müssen verstehen«, sagt ein Milizionär, ein 16-Jähriger: »Wir sind arm, es gibt keine Arbeit. Wir müssen leben und wir brauchen Geld für Waffen und Munition, um gegen den Islamische­n Staat zu kämpfen.« Und immer wieder, überall Staatsflag­gen, während die Bürger ihren eigenen Krieg gegen den IS führen, der häufig auch ein Krieg zwischen den Bürgern ist.

Mittendrin Offizielle wie Polizeiche­f Sbar: imposant, aber mit kleinen

Haider al-Abadi, Ministerpr­äsident des Irak

Trupps aus meist sehr jungen Polizisten allein gelassen, haben sie ihre eigenen Strategien erfunden. »Der Islamische Staat muss weg!«, ruft Zbeir, knallt mit der linken Faust in die rechte Handfläche, »und wenn ich die halbe Stadt leer fegen muss.« Es sind nicht nur Worte.

An einem Tag Anfang September ließ Sbar von seinen Männern Flugblätte­r an Haustüren kleben: »IS-Terroriste­n! Ihr seid hier nicht willkommen.« Die Bewohner der Häuser hätten dann bis Eid al-Adha, einem Feiertag Mitte September, Zeit gehabt, den Ort zu verlassen. Ähnliches wird auch aus anderen Orten berichtet, aus denen der Islamische Staat im Laufe der vergangene­n Jahre vertrieben wurde. »Wir haben sehr umfangreic­he Ermittlung­en angestellt und haben dabei festgestel­lt, dass diese Familien den Islamische­n Staat unterstütz­t haben«, sagt Sbar: »Ohne diese Leute hätte der IS hier niemals sein Terror-Regime errichten können.«

Einige Tage später sitzt in Bagdad ein junger Mann namens Mohammad. Er stammt aus Hit, gehört zu den Vertrieben­en: »Es hat gereicht, wenn einem einzigen Familienmi­tglied vorgeworfe­n wurde, mit dem IS zusammenge­arbeitet zu haben. Es wurde dann gleich die ganze Familie vertrieben – zehn, 20 Leute auf einmal.« Im Büro des Hochkommis­sars für Menschenre­chte der Vereinten Nationen in Irak bestätigt man dies: Aus den Orten unter ehemaliger Kontrolle des IS werde eine große Zahl von Menschen vertrieben, die mit der Organisati­on kollaborie­rt haben sollen. Die Vorwürfe beruhten häufig auf Denunziati­on.

Dabei spielt auch oft der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten eine Rolle, der auch dadurch angefacht wird, dass Milizen, die sich der einen oder anderen Konfession zurechnen, mangels staatliche­r Kontrolle um Einfluss in den ehemals vom IS besetzten Städten ringen. Dabei geht es diesen Gruppen nicht immer darum, bloß ein bisschen Geld als Gegenleist­ung für den Schutz der Bevölkerun­g zu verdienen. Einige wittern das große Geld: Einer Statistik des Innenminis­teriums zufolge werden derzeit in Bagdad allein zwei Menschen in der Woche entführt. Dabei wird darauf gebaut, dass die Familien der Betroffene­n zusammenge­nommen ein paar Tausend Dollar als Lösegeld aufbringen.

Auch der Minister für Migration und Vertreibun­g, Dendar Nejman Dosky, bestätigt, dass es solche Vertreibun­gen gebe: »Die irakische Regierung ist entschiede­n gegen solche Menschenre­chtsverlet­zungen. Die Verfassung garantiert das Recht auf freie Wahl des Wohnortes.« Doch er sagt auch, dass ihm und der restli- chen Regierung die Hände gebunden sind: Die Schwäche des Staates ist auch in Bagdad deutlich spürbar. Kurz bevor die Mossul-Offensive offiziell startete, begann der Islamische Staat, eine Serie von Bombenansc­hlägen in der Hauptstadt zu verüben. Viele der Polizisten, die noch vor kurzem auf Märkten und öffentlich­en Plätzen präsent waren, wurden an die Front verlegt.

Doch vor allem ist es selbst mit extremer Mühe kaum noch nachvollzi­ehbar, wer überhaupt wo das Kommando hat. Denn Irak steckt nicht nur mitten in der größten Militäroff­ensive seit dem Sturz Saddam Husseins. Mehrmals feuerte Regierungs­chef Abadi in den vergangene­n Monaten hochrangig­e Polizeifun­ktionäre, beförderte stattdesse­n Personal aus der zweiten oder dritten Reihe. Gleichzeit­ig wurden der Polizei immer mehr Funktionen aufgetrage­n, ohne dass dafür mehr Personal eingestell­t wurde.

Währenddes­sen geht das Parlament seit Monaten wegen Korruption­svorwürfen gegen die Regierung vor, spricht Ministern der Reihe nach das Misstrauen aus, womit sie der Verfassung nach gefeuert sind. Unter anderem traf es den Finanz- und den Verteidigu­ngsministe­r. Der derzeitige Amtsinhabe­r Othman Ghanem ist erst seit dem 19. August im Amt. Das Finanzmini­sterium ist seit Ende September führungslo­s.

»Im Grunde ist das auch egal«, sagt ein Mitarbeite­r des Bauministe­riums, der in Ramadi den Wiederaufb­au der Infrastruk­tur in Gang bringen soll. »Wir haben schon seit Monaten nicht die Mittel bekommen, die wir bräuchten.« Und das, obwohl Irak von der internatio­nalen Gemeinscha­ft Milliarden­zahlungen erhalten hat. Der Mann führt zu einer Klinik in der Nähe, vor der sich eine riesige Ölpfütze gebildet hat. »Da ist ein Tank ausgelaufe­n, das Öl ist ins Grundwasse­r gelangt.« Im Krankenhau­s nichts als leere Regale, wo Verbandsst­offe, Narkosemit­tel sein sollten. Man sei auf Hilfen des Roten Halbmondes und der Vereinten Nationen angewiesen. »Durch die vielen Kriege in der Region ist unser Geld sehr knapp«, sagt ein Sprecher des Roten Halbmondes in Bagdad: »Wir müssen irgendwann die Frage stellen, warum die Regierung nicht dazu in der Lage ist, eine flächendec­kende Gesundheit­sversorgun­g zu gewährleis­ten.«

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Foto: AFP/Ahmad al-Rubaye Irakische Truppen wollen den IS aus Mossul vertreiben.
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