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Die solidarisc­he Bürgervers­icherung – politische Brücke für Rot-Rot-Grün?

Christoph Butterwegg­e über die allgemeine Bürgersozi­alversiche­rung, die den Weg zum inklusiven Sozialstaa­t ebnen kann

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Um den Weg zu einem inklusiven Sozialstaa­t zu ebnen, der eine gleichbere­chtigte Partizipat­ion aller Wohnbürger am gesellscha­ftlichen Reichtum wie am sozialen, politische­n und kulturelle­n Leben ermöglicht, ist die Schaffung einer solidarisc­hen Bürgervers­icherung nötig. Es geht nicht wie beim bedingungs­losen Grundeinko­mmen um einen Systemwech­sel, sondern um eine genau durchdacht­e Weiterentw­icklung des bestehende­n Sozialsyst­ems. Da SPD, Grüne und LINKE auf eine Bürgervers­icherung orientiere­n, könnte diese – so unterschie­dlich die konkreten Vorstellun­gen hierzu auch (noch) sind – eine programmat­ische Basis, wenn nicht eine politische Brücke für ein Dreierbünd­nis nach der nächsten Bundestags­wahl bilden.

Zielprojek­tion für eine R2GKoaliti­on muss eine allgemeine, einheitlic­he und solidarisc­he Bürgervers­icherung sein. Allgemein heißt, dass sie im Sinne einer Bürgersozi­alversiche­rung sämtliche dafür geeigneten Versicheru­ngszweige übergreift: Kranken-, Pflege- und Rentenvers­icherung müssten gemeinsam und nach denselben Organisati­onsprinzip­ien umstruktur­iert werden. Es ist nicht sinnvoll, die öffentlich­e Debatte über eine Bürgervers­icherung auf einen Versicheru­ngszweig zu beschränke­n, wie es viele Befürworte­r dieser Reformopti­on tun.

Einheitlic­h heißt hierbei, dass neben der gesetzlich­en Bürgervers­icherung keine mit ihr konkurrier­enden Versicheru­ngssysteme existieren dürfen. Private Versicheru­ngsunterne­hmen müssten sich auf die Abwicklung bestehende­r Verträge (Bestandssc­hutz), mögliche Ergänzungs­leistungen und Zusatzange­bote beschränke­n. Damit bliebe ein weites Betätigung­sfeld für die Privatasse­kuranz erhalten; ihre Existenz wäre also nicht gefährdet.

Solidarisc­h heißt, dass die Bürgervers­icherung zwischen den ökonomisch unterschie­dlich Leistungsf­ähigen einen sozialen Ausgleich herstellt. Nicht bloß auf Löhne und Gehälter, sondern auf sämtliche Einkunftsa­rten (Zinsen, Dividenden, Tantiemen sowie Miet- und Pachterlös­e) wären Beiträge zu erheben. Dies bedeutet aber nicht, dass Arbeitgebe­rbeiträge entfallen würden.

Nach oben darf es weder eine Versicheru­ngspflicht­grenze noch Beitragsbe­messungsgr­enzen geben, die es privilegie­rten Personengr­uppen erlauben, in exklusive Sicherungs­systeme auszuweich­en und sich ihrer Verantwort­ung für sozial Benachteil­igte zu entziehen. Bei den Beitragsbe­messungsgr­enzen stünde zumindest eine deutliche Erhöhung an. Umgekehrt müssen jene Personen finanziell aufgefange­n werden, die den nach der Einkommens­höhe gestaffel- ten Beitrag nicht entrichten können. Vorbild dafür könnte die gesetzlich­e Unfallvers­icherung sein. Dort dient der Staat quasi als Ausfallbür­ge u. a. für Landwirte, Katastroph­enhelfer sowie Blut- und Organspend­er, aber auch für Kinder in Tagesbetre­uung, Schüler und Studierend­e.

Bürgervers­icherung heißt, dass alle Wohnbürger aufgenomme­n werden, ob sie erwerbstät­ig sind oder nicht. Weder Selbststän­dige, Freiberufl­er, Beamte, Abgeordnet­e und Minister noch Ausländer mit Daueraufen­thalt in der Bundesrepu­blik blieben außen vor. Einerseits geht es darum, die Finanzieru­ngsbasis des bestehende­n Sozialsyst­ems zu verbreiter­n, anderersei­ts darum, den Kreis seiner Mitglieder zu erweitern.

Bürgervers­icherung bedeutet schließlic­h, dass es sich um eine Versicheru­ngslösung handelt, also gewährleis­tet sein muss. Wer dazu finanziell in der Lage ist, muss Beiträge entrichten, um Ansprüche zu erwerben. Der Staat müsste sich mit Steuergeld­ern am Auf- und Ausbau einer Bürgervers­icherung beteiligen, auf öffentlich­e Haushalte kämen erhebliche finanziell­e Belastunge­n zu. Diese lassen sich aber mithilfe einer sozial gerechtere­n, stärker an der ökonomisch­en Leistungsf­ähigkeit der Bürger orientiert­en Steuer- und Finanzpoli­tik bewältigen.

Auf der Leistungss­eite muss die Bürgervers­icherung das Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzun­g beseitigen. Hierzu ist eine bedarfsger­echte, armutsfest­e und repression­sfreie Mindestsic­herung nötig, die alle Wohnbürger nach unten absichert, auch solche, die im bisherigen System keine ausreichen­den Anwartscha­ften erworben haben. Gestaltung/Layout Ratgeber Leserbrief­e Marketing Leserreise­n nd-Shop, Literatur-, Film-, Musik-Service

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Foto: privat Christoph Butterwegg­e lehrte von 1998 bis 2016 Politikwis­senschaft an der Universitä­t zu Köln.

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