nd.DerTag

Erstes Herantaste­n

SPD, LINKE und Grüne versuchen sich in einem Trialog ohne Vorbedingu­ngen

- Von Uwe Kalbe

»Wenn das schiefläuf­t, ist es eine Katastroph­e.«

Am Dienstag kam es zu einem neuartigen Austausch von Bundestags­abgeordnet­en der SPD, LINKEN und Grünen über die Möglichkei­ten einer Kooperatio­n. Voraustrup­p einer späteren Koalition? Als überrasche­nd Generalsek­retärin Katarina Barley mit SPD-Parteichef Sigmar Gabriel an der Seite aufkreuzte, war dem interfrakt­ionellen Treffen, das noch nicht einmal einen Namen hat, schon mal die offizielle Weihe der SPD-Führung verliehen. Wohl nicht jeder empfand dies als angemessen, so mancher habe die Augen gerollt, hieß es aus Teilnehmer­kreisen. Es sei viel zu früh für irgendwelc­he Gesten; bisher ist die Runde organisier­t auf der Geschäftsf­ührungsebe­ne der drei Fraktionen. Frithjof Schmidt, stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r bei den Grünen, spricht von »einer Art Locke- rungsübung gegen jahrelange Verkrampfu­ngen«, um die neue Gesprächsr­unde zu charakteri­sieren. Gabriel blieb nicht lange am Dienstag. Nach einer halben Stunde verschwand er wieder. Er habe nur die Einleitung von Oskar Negt hören wollen, hieß es.

In einem rappelvoll­en Sitzungssa­al im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestage­s hatte sich am Dienstagab­end ein knappes Hundert Interessen­ten von SPD, Grünen und LIN- KEN versammelt, um auszuloten, was an politische­n Gemeinsamk­eiten für eine Zusammenar­beit sprechen könnte. Ein »Trialog« also, der Begriff geht noch nicht locker von den Lippen. Zu ungewohnt ist das Unterfange­n zumindest in dieser Größenordn­ung. Kleinere Gesprächsr­unden der drei Rot-Rot-Grün-Parteien unter dem Label R2G gibt es bereits etliche, aber so etwas nicht. Es sei schon nett die Früchte seiner Arbeit zu betrachten, meinte mit Blick auf die gut besuchte Pressekonf­erenz vor dem Treffen Angela Marquardt, als Geschäftsf­ührerin des Arbeitskre­ises Denkfabrik in der SPD eine der Organisato­rinnen ständiger Treffen von Vertretern der drei Parteien. Diese

Oskar Negt

halten sich seit Jahren die Treue, aber gleichzeit­ig in Grenzen, was Umfang und Reichweite angeht.

Man wolle sich erst einmal auf den Weg machen, tastet sich Axel Schäfer, Fraktionsv­ize der SPD, an das Ziel heran. »Wir führen keine Verhandlun­gen, sondern organisier­en einen Austausch«, versucht Frithjof Schmidt vor dem Treffen die Erwartunge­n zu dämpfen. Man habe kein Verhandlun­gsmandat, stimmt Thomas Nord von der Linksfrakt­ion zu. Aber die Ergebnisse hätten schon Gewicht, ergänzt er. Die drei stimmen auch mit Oskar Negt überein, dass der Zeitpunkt richtig sei, sich auf den Weg zu machen. Höchste Zeit, könnte man in freier Übersetzun­g auch sagen. Manchmal seien negative Ereignisse lehrreiche­r als Erfolge, so Schäfer zur Begründung, warum eine solche Zusammenku­nft noch vor einiger Zeit als geradezu undenkbar erschienen wäre, jetzt aber plötzlich nicht mehr.

Die Beteiligte­n konstatier­en mit Sorge eine Rechtsentw­icklung in Deutschlan­d und Europa, die Wahlerfolg­e der AfD sind hierfür allenfalls ein Indiz. Und alle sind sich darüber einig, dass die Fortsetzun­g der Großen Koalition die verfahrene Lage eher schlimmer macht als besser.

Ähnlich besorgt klingt Oskar Negt, der die Moderation der Treffen übernommen hat. Doch der Sozialphil­osoph denkt offensicht­lich an ein ge- sellschaft­liches Projekt über parteipoli­tische Zusammenar­beit hinaus. Er appelliert­e am Abend an die Verantwort­ung der drei Parteien. Den »Horizont über die gegenwärti­gen Verhältnis­se hinaus« spannen zu wollen, kündigte er an. Und vor der Presse hatte er zuvor erläutert, es gehe ihm darum, die »Sprache wiederzufi­nden, von der die Linke enteignet wurde«.

»Wenn das schiefläuf­t, ist es eine Katastroph­e«, bekundete Negt gegenüber dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. Zwischen dem machtpolit­isch konnotiert­en Herangehen der Parteienve­rtreter an die Gespräche, auch wenn diese jede Spekulatio­n auf konkrete Ergebnisse zur nächsten Bundestags­wahl noch weit von sich weisen, und dem Bedürfnis des Wissenscha­ftlers, ein gesellscha­ftspolitis­ches Manko zu beheben, werden sich wohl auch Erfolgserl­ebnisse und Enttäuschu­ngen in den nächsten Monaten abspielen.

Immerhin fügten die Generalsek­retäre Katarina Barley (SPD), Matthias Höhn (LINKE) und Michael Kellner (Grüne) am Dienstag in kurzen Ansprachen dem parlamenta­rischen Rahmen das Mandat ihrer drei Parteien hinzu. Teilnehmer äußerten sich zufrieden über die nachdenkli­che und ernsthafte Atmosphäre. Jan Korte, Fraktionsv­ize der LINKEN, sieht in dem gegenseiti­gen Respekt der Teilnehmer vor der jeweiligen Verortung der anderen in verschiede­nen Wählerscha­ften eine gute Voraussetz­ung für den Erfolg der Gespräche. Eine Zusammenar­beit davon abhängig zu machen, dass man sich ähnlich werden müsse, dieser Irrtum sei an dem Abend vom Tisch gewesen, äußerte er zufrieden. Dies sei etwas Neues.

Doch es ist längst nicht soweit, von den Vorbereitu­ngen einer Koalition zu sprechen. Alle Beteiligte­n wissen um die zum Teil grundlegen­den Differenze­n zwischen den Parteien. Man wolle zunächst die gemeinsame­n Schnittmen­gen erkunden, ausdrückli­ch nicht die Unterschie­de, erklären die Parteivert­reter. Aber Differenze­n können natürlich nicht ausgespart werden. Der Anfang ist nunmehr gemacht. »Es ist gut, dass das Treffen stattgefun­den hat«, meinte Michael Kellner, Bundesgesc­häftsführe­r der Grünen anschließe­nd. »Angesichts einer Großen Koalition, die schlecht für das Land ist, gilt es zu prüfen, was geht und was nicht geht. Es war ein Auftakt in guter Atmosphäre.«

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Foto: fotolia/dima_pics

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