Freikaufchance für AKW-Betreiber
Bundeskabinett billigt Gesetzentwurf zur Regelung der Folgekosten der Atomkraft
Bis zu 70 Milliarden Euro, so schätzten Experten, können die Folgekosten der Kernenergie ausmachen. Die Energiekonzerne sollen nur einen Teil davon übernehmen, schlägt die Koalition vor.
Jürgen Trittin findet nicht, dass sich die Energiekonzerne freigekauft haben. »Für den gefährlichsten Atommüll der Welt muss klar der Staat die Verantwortung haben, und er hat heute nicht nur die Verantwortung, sondern künftig auch die finanzielle Sicherheit«, erklärte am Mittwochmorgen der ehemalige Bundesumweltminister und Grünen-Spitzenpolitiker im »Morgenmagazin«. Wenig später billigte das Kabinett den Gesetzesentwurf zur Regelung der Folgekosten der Atomenergie.
Obwohl seine Partei in der Opposition ist, hatte Trittin nämlich maßgeblich an dem Gesetz mitgeschrieben. Dieses geht im Wesentlichen auf Empfehlungen der Atomkommission zurück, die Trittin zusammen mit Brandenburgs ehemaligen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) und Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust (CDU) leitet. Einberufen wurde das 19-köpfige Gremium vor einem Jahr von der Bundesregierung, um zu klären, wie die Abwicklung der Atomkraftnutzung gemeistert wird, wenn ab Ende 2022 die zivile Nutzung der Kernenergie Geschichte sein wird.
Entfacht hatten die Diskussion um die Folgekosten die AKW-Betreiber im Frühling 2014 selbst. E.on, RWE und EnBW wollten ihre neueren noch laufenden AKW und damit ihre strahlenden Verbindlichkeiten in eine Stiftung auslagern. Befeuert wurde die Diskussion durch die wirtschaftliche Lage der Energiekonzerne. So haben diese bisher Rückstellungen von gut 40 Milliarden Euro gebildet, doch schätzen Experten die Kosten für Stilllegung, Rückbau, End- und Zwischenlagerung auf bis zu 70 Milliarden Euro.
Der nun gebilligte Gesetzentwurf sieht vor, dass die AKW-Betreiber für die gesamte Abwicklung und Finanzierung der Stilllegung sowie den Rückbau der Kernkraftwerke zuständig bleiben. Auch verbleibt die fachgerechte Verpackung der radioaktiven Abfälle in ihren Händen. Als Kosten dafür wurden 24 Milliarden Euro eingeplant. Für die langfristige Zwischen- und Endlagerung des Atommülls übernimmt nun jedoch der Bund die Verantwortung. Dafür zahlen die Betreiber bis 2022 knapp 23,6 Milliarden Euro in einen staatlichen »Entsorgungsfonds« ein. Dieser Betrag setzt sich aus 17,389 Milliarden Euro geschätzten Lagerungskosten und einem Risikoaufschlag in Höhe von insgesamt 6,167 Milliar- den Euro zusammen, der die Konzerne von etwaigen Nachschusspflichten aufgrund von Kostensteigerungen befreit.
»Wir stellen sicher, dass die Finanzierung für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung langfristig gewährleistet wird, ohne dass die Kosten einseitig auf die Gesellschaft übertragen werden und ohne die wirtschaftliche Situation der Betreiber zu gefährden«, meinte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu dem Deal.
Doch Experten sehen dies anders: Nach Ansicht der Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschafts- forschung, Claudia Kemfert, können sich die Konzerne damit »freikaufen«. Da die Konzerne finanziell stark angeschlagen seien, sei zu befürchten, dass sie die Kosten für den Rückbau der Atomanlagen nicht selbst tragen können. »Somit haftet die Gesellschaft auch für diese Kosten«, warnt Kemfert.
Auch für den atompolitischen Sprecher der LINKEN im Bundestag, Hubertus Zdebel, zahlen die »AtomZeche« am Ende die Bürger. »Gegenüber den bisher schon mangelhaften Vorschlägen der sogenannten TrittinKommission werden RWE, E.on, Vat- tenfall und EnBW noch einmal um rund 1,5 Milliarden Euro zusätzlich entlastet«, wendet Zdebel gegen den Deal ein. Außerdem bekämen die Konzerne mit dem Wegfall der sogenannten Kernbrennstoffsteuer zum Ende des Jahres noch einmal mehr als fünf Milliarden Euro geschenkt.
Ganz durch ist der Entwurf der Bundesregierung indes noch nicht. Neben dem Bundestag muss ihn der Bundesrat verabschieden. Wendet auch die EU-Kommission nichts ein, soll das Gesetz laut dem Bundeswirtschaftsministerium zum Ende des Jahres in Kraft treten.