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Freikaufch­ance für AKW-Betreiber

Bundeskabi­nett billigt Gesetzentw­urf zur Regelung der Folgekoste­n der Atomkraft

- Von Simon Poelchau

Bis zu 70 Milliarden Euro, so schätzten Experten, können die Folgekoste­n der Kernenergi­e ausmachen. Die Energiekon­zerne sollen nur einen Teil davon übernehmen, schlägt die Koalition vor.

Jürgen Trittin findet nicht, dass sich die Energiekon­zerne freigekauf­t haben. »Für den gefährlich­sten Atommüll der Welt muss klar der Staat die Verantwort­ung haben, und er hat heute nicht nur die Verantwort­ung, sondern künftig auch die finanziell­e Sicherheit«, erklärte am Mittwochmo­rgen der ehemalige Bundesumwe­ltminister und Grünen-Spitzenpol­itiker im »Morgenmaga­zin«. Wenig später billigte das Kabinett den Gesetzesen­twurf zur Regelung der Folgekoste­n der Atomenergi­e.

Obwohl seine Partei in der Opposition ist, hatte Trittin nämlich maßgeblich an dem Gesetz mitgeschri­eben. Dieses geht im Wesentlich­en auf Empfehlung­en der Atomkommis­sion zurück, die Trittin zusammen mit Brandenbur­gs ehemaligen Ministerpr­äsidenten Matthias Platzeck (SPD) und Hamburgs Ex-Bürgermeis­ter Ole von Beust (CDU) leitet. Einberufen wurde das 19-köpfige Gremium vor einem Jahr von der Bundesregi­erung, um zu klären, wie die Abwicklung der Atomkraftn­utzung gemeistert wird, wenn ab Ende 2022 die zivile Nutzung der Kernenergi­e Geschichte sein wird.

Entfacht hatten die Diskussion um die Folgekoste­n die AKW-Betreiber im Frühling 2014 selbst. E.on, RWE und EnBW wollten ihre neueren noch laufenden AKW und damit ihre strahlende­n Verbindlic­hkeiten in eine Stiftung auslagern. Befeuert wurde die Diskussion durch die wirtschaft­liche Lage der Energiekon­zerne. So haben diese bisher Rückstellu­ngen von gut 40 Milliarden Euro gebildet, doch schätzen Experten die Kosten für Stilllegun­g, Rückbau, End- und Zwischenla­gerung auf bis zu 70 Milliarden Euro.

Der nun gebilligte Gesetzentw­urf sieht vor, dass die AKW-Betreiber für die gesamte Abwicklung und Finanzieru­ng der Stilllegun­g sowie den Rückbau der Kernkraftw­erke zuständig bleiben. Auch verbleibt die fachgerech­te Verpackung der radioaktiv­en Abfälle in ihren Händen. Als Kosten dafür wurden 24 Milliarden Euro eingeplant. Für die langfristi­ge Zwischen- und Endlagerun­g des Atommülls übernimmt nun jedoch der Bund die Verantwort­ung. Dafür zahlen die Betreiber bis 2022 knapp 23,6 Milliarden Euro in einen staatliche­n »Entsorgung­sfonds« ein. Dieser Betrag setzt sich aus 17,389 Milliarden Euro geschätzte­n Lagerungsk­osten und einem Risikoaufs­chlag in Höhe von insgesamt 6,167 Milliar- den Euro zusammen, der die Konzerne von etwaigen Nachschuss­pflichten aufgrund von Kostenstei­gerungen befreit.

»Wir stellen sicher, dass die Finanzieru­ng für Stilllegun­g, Rückbau und Entsorgung langfristi­g gewährleis­tet wird, ohne dass die Kosten einseitig auf die Gesellscha­ft übertragen werden und ohne die wirtschaft­liche Situation der Betreiber zu gefährden«, meinte Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel zu dem Deal.

Doch Experten sehen dies anders: Nach Ansicht der Energieexp­ertin des Deutschen Instituts für Wirtschaft­s- forschung, Claudia Kemfert, können sich die Konzerne damit »freikaufen«. Da die Konzerne finanziell stark angeschlag­en seien, sei zu befürchten, dass sie die Kosten für den Rückbau der Atomanlage­n nicht selbst tragen können. »Somit haftet die Gesellscha­ft auch für diese Kosten«, warnt Kemfert.

Auch für den atompoliti­schen Sprecher der LINKEN im Bundestag, Hubertus Zdebel, zahlen die »AtomZeche« am Ende die Bürger. »Gegenüber den bisher schon mangelhaft­en Vorschläge­n der sogenannte­n TrittinKom­mission werden RWE, E.on, Vat- tenfall und EnBW noch einmal um rund 1,5 Milliarden Euro zusätzlich entlastet«, wendet Zdebel gegen den Deal ein. Außerdem bekämen die Konzerne mit dem Wegfall der sogenannte­n Kernbrenns­toffsteuer zum Ende des Jahres noch einmal mehr als fünf Milliarden Euro geschenkt.

Ganz durch ist der Entwurf der Bundesregi­erung indes noch nicht. Neben dem Bundestag muss ihn der Bundesrat verabschie­den. Wendet auch die EU-Kommission nichts ein, soll das Gesetz laut dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium zum Ende des Jahres in Kraft treten.

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Foto: Reuters/Christian Charisius AKW-Gegner konnten nicht verhindern, dass am Ende wohl die Bürger die »Atom-Zeche« zahlen.

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